310 Paul Schoen.
2. In weitem Umfange kommen aber öffentlichrechtliche Verwaltungsakte auch ohne
ausdrückliche Überweisung zur Beurteilung der ordentlichen Gerichte. Denn die Zuständigkeit
dieser ist gegen die der Verwaltungsbehörden bei uns nicht, wie in Frankreich, in mechanischer
Durchführung der Idee der Trennung der Gewalten, so abgegrenzt, daß dem Gerichte jede Be-
urteilung eines Verwaltungsaktes versagt ist. Vielmehr hat der ordentliche Richter, sofern
der Gesetzgeber ihm hier nicht ausnahmsweise Schranken gezogen hat — s. z. B. Pr. G. v. 24. 5.
1861 & 5; Reichsbeamt G. v. 31. 3. 1873 § 115, wonach bei Beurteilung vermögensrechtlicher An-
sprüche der Beamten der Richter an die Entscheidung gewisser Vorfragen durch die Verwaltungs-
behörden gebunden ist —, auch alle Vorfragen und Inzidentfragen öffentlichrechtlichen Charakters,
die in dem bei ihm anhängig gemachten Prozesse auftauchen, selbständig zu beurteilen, also
auch die Gültigkeit von Verwaltungsakten, wenn von dieser die Entscheidung eines Streites,
für den er an sich zuständig ist, abhängt. Der Strafrichter z. B. hat zu prüfen die Gültigkeit
der Polizeiverordnung, auf Grund deren er bestrafen soll; er hat zu beurteilen, ob die Ver-
ordnungen und Verfügungen, gegen welche zum Ungehorsam aufgefordert war, rechtsgültig,
erlassen sind (StG. § 110), ob der Beamte, dem Widerstand geleistet wurde, sich in der „recht-
mäßigen Ausübung seines Amtes“ befand (das. § 113). Nur Anordnungen, die er für gültig,
und amtlichem Handeln, das er für rechtmäßig hält, gewährt er seinen Schutz und übt so mittel-
bar eine Kontrolle über die Verwaltung. Ahrlich sorgt der Zivilrichter für die Aufrechthaltung
der Verwaltungsordnung. Er prüft, ob der von ihm zu beurteilende Vertrag, der für den
Staat oder einen anderen öffentlichen Verband eingegangen ist, von dem zur Vertretung des Ver-
bandes berufenen Organe abgeschlossen ist, ob dieses innerhalb der ihm nach dem Verwaltungs-
rechte zustehenden Vollmacht gehandelt hat, ob die etwa zum Abschlusse des Vertrages erforder-
liche aufsichtliche Genehmigung vorschriftsmäßig erteilt ist u. a. m. Dem Untertanen aber
gewährt das Zivilgericht einen kraftvollen Rechtsschutz gegenüber der Verwaltung dadurch,
daß es die Haftpflicht der Beamten aus rechtswidrigen Amtshandlungen dem Ge-
schädigten gegenüber realisiert.
Die Ersatzpflicht des Beamten für den Schaden, den er jemandem durch sein Verhalten
im Amte zugefügt hat, ist zivilrechtlicher Natur. Sie ist ihren Voraussetzungen wie ihrem Um-
fange nach im BGB. § 839 geregelt und ihrem Wesen nach — ohne daß es besonderer Zuweisung
bedarf; vgl. übrigens GVG. § 702, 2 — vor dem Zivilgerichte geltend zu machen, welches nach
dem eben bezeichneten Grundsatze alle Anspruchsvoraussetzungen, also auch die lediglich aus
dem öffentlichen Rechte zu beantwortende Frage, ob der Beamte rechtswidrig seine Amts-
pflicht verletzt hat, selbständig zu beurteilen hat. Die Verfolgung des Beamten durch den von
ihm geschädigten Dritten vollzieht sich also durchaus abseits der Verwaltung und kann in keiner
Weise von dieser gehindert oder auch nur beeinträchtigt werden. Der ehedem in vielen deutschen
Staaten geltende, aus dem französischen Rechte übernommene Satz, daß Beamte nur mit Er-
laubnis der vorgesetzten Behörde gerichtlich verfolgt werden dürfen, ist, wo nicht früher (Pr.
Verfürk. Art. 97), mit dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze (1. 10. 1879) beseitigt. Nach
§ 11 des EinfG. z. GVG. ist der Landesgesetzgebung nur noch gestattet, die gerichtliche Verfolgung
der Beamten zwecks Schutzes dieser gegen willkürliche Klagen davon abhängig zu machen, daß
eine besondere Behörde in einer „Vorentscheidung“ feststellt, „ob der Beamte sich
einer Uberschreitung seiner Amtsbefugnisse oder der Unterlassung einer ihm obliegenden Amts-
handlung schuldig gemacht habe“. Diese Vorentscheidung aber darf nicht einer Verwaltungs-
behörde übertragen werden; sie ist vielmehr — und damit soll ihre Abgabe lediglich nach
Rechtsgründen sichergestellt werden — in den Staaten, in denen ein oberster Verwaltungs-
gerichtshof besteht, von diesem, für andere Staaten vom Reichsgerichte zu fällen. In An-
passung an diese reichsrechtlichen Vorschriften besteht das Institut der Vorentscheidung für die ge-
richtliche Verfolgung von Verwaltungsbeamten heute in Preußen (G. v. 13.2. 1854, LVG. 5114),
Bayern (G. v. 8. 8. 1878 Art. 7), Baden (G. v. 24. 2. 1880 Art. 9 ff., 14. 6. 1884 F 40), Hessen
(G. v. 8. 7. 1911 Art. 110 ff.), beiden Mecklenburg (V. v. 5. 5. 1879), Elsaß-Lothringen (G. v. 4. 11.
1878 F§ 11, für die nicht im elsaß-lothringischen Landesdienste stehenden Reichsbeamten besteht das
Institut der Vorentscheidung nicht, sie sind also ohne weiteres gerichtlich verfolgbar), und zwar ent-
weder so, daß die Vorentscheidung unbedingt vor Einreichung der Klage vom Kläger herbei-
zuführen ist (Bayern), oder daß sie nur stattfindet, wenn nach Einreichung der Klage die vor-