Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Erster Abschnitt. 
Das Gewerberecht als Teil des Arbeitsrechts. 
8 1. Das Gewerberecht ist ein Teil des Arbeitsrechts. Unter Arbeitsrecht verstehen wir 
die Gesamtheit der Rechtsnormen, die sich auf die Arbeit beziehen, d. h. auf die Betätigung 
der geistigen oder körperlichen Kräfte zu einem bestimmten wirtschaftlichen Zweck. Auf der 
Arbeit in diesem Sinne beruht nicht nur das sittliche und körperliche Gedeihen des Einzelnen, 
sonderm auch die gesamte Entwicklung der Menschheit und die Entstehung der Staaten. Sie 
ist für den Volkswirt die Quelle aller Werte und für den Politiker die Quelle aller Macht, 
insofern diese nicht auf besonderen, von der Natur geschaffenen oder historisch entwickelten Ver- 
hältnissen beruht. Für den Juristen aber, insbesondere in den modernen Staaten, die auf der 
Anerkennung der persönlichen Freiheit des einzelnen beruhen, hat die Arbeit noch eine ganz 
besondere Bedeutung. Sie, oder genauer: das rechtlich geordnete Arbeitsverhältnis, ist das 
einzige Mittel, das die Rechtsordnung denen zur Verfügung stellt, die kein Privatvermögen 
besitzen, und denen die Subsistenzmittel nicht von anderen freiwillig zur Verfügung gestellt 
werden. Versagt dies Mittel, ist keine Arbeitsmöglichkeit für den Einzelnen da, so gerät er in 
Not; versagt es für die Massen, so gerät der Staat in Gefahr, sicherer als durch auswärtige 
Angriffe und sicherer als durch die schlimmsten natürlichen Katastrophen. Und zugleich ist die 
Arbeit — das rechtlich geordnete Arbeitsverhältnis — auch das einzige Mittel, durch das man 
sich heute, nach Abschaffung der Sklaverei, diejenige Verfügung über die Kräfte anderer zu 
verschaffen vermag, ohne die kein größerer Betrieb in Gewerbe, Landwirtschaft, Industrie, 
Handel usw. möglich wäre. Das Geschäft des Handwerkers, der einen Gesellen hält, und 
die Riesenbetriebe der preußischen Staatseisenbahnen und der amerikanischen Trusts sind in 
ihrem Bestand bedroht, sowie auch nur auf kürzeste Zeit keine Arbeit — kein rechtlich geordnetes 
Arbeitsverhältnis — zu haben ist. Das Arbeitsverhältmis in diesem Sinne ist natürlich etwas 
anderes, als das bloße tatsächliche Zusammenarbeiten behufs Erreichung eines gemeinschaft- 
lichen Zweckes, das auch bei den kulturlos in Horden zusammen lebenden Menschen vor- 
kommen mag. Es gelangte im Recht aber zu seiner überragenden, alle anderen mensch- 
lichen Einrichtungen an Wichtigkeit übertreffenden Bedeutung erst, seitdem es als Ardbeits- 
vertrag zunächst neben das unfreie Arbeitsverhältnis (Sklaverei) trat und dieses allmählich 
ersetzte. Der Arbeitsvertrag, durch den der eine Vertragschließende seine Arbeits- 
kräfte dem anderen zeitweise zur Verfügung stellt, um das hierfür empfangene Entgelt nach 
eigenem Ermessen zu verwenden — nicht das Privateigentum an den Produktionsmitteln, 
wie dies fälschlich im sozialdemokratischen Programm gelehrt wird — ist die Grundlage des 
modernen Staats; denn nicht der Besitz von Privatvermögen, sondern nur die Möglichkeit des 
Eingehens von Arbeitsverträgen schafft die Mittel zur Aufrechterhaltung der persönlichen Frei- 
heit des Einzelnen wie des Wohls der Gesamtheit. Freilich kann der Arbeitsvertrag auch zugleich 
das Mittel sein, um eben diese persönliche Freiheit des Einzelnen und damit indirekt das Ge- 
deihen des Staats aufs schlimmste zu gefährden: wenn nämlich derjenige, der über die Arbeits- 
gelegenheit verfügt, stark — „vermögend“ — genug ist, um die Anderen, Schwächeren, weniger 
„Vermögenden“ zu ungünstigen, mit dem Genuß der persönlichen Freiheit unvereinbaren 
Arbeitsbedingungen zu nötigen. Die Aufgaben des Arbeitsrechts sind durch diese einfache Be- 
trachtung gekennzeichnet. Es darf denjenigen nicht behindern, der die Kräfte anderer in erlaubter 
Weise für seine Zwecke nutzbar machen will; und es muß dafür sorgen, daß nicht aus jener, mit 
dem Arbeitsverhältnis notwendig verbundenen Unterordnung des einen Vertragschließenden
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.