Deutsches Staatsrecht. 29
Verfassungsstaat heworgehen, ein Staat, in welchem die Gesetze gegeben werden nicht
mehr von dem Monarchen allein, sondern von ihm im geordneten Zusammenwirken mit einer
Volksvertretung, wo die Justiz unabhängigen, nur dem Gesetz, nicht aber den Befehlen des
Monarchen unterworfenen Gerichtshöfen übertragen und nur die „vollziehende“ Gewalt dem
Monarchen allein bzw. seinen Behörden und Beamten überlassen ist.
Wer wollte leugnen, daß die Teilung der Gewalten zu den größten politischen Gedanken
aller Zeiten gehört, zu denen, die sieghaft sich die Welt erobert haben? Die Welt der deutschen
Verfassungen ist hier jedenfalls nicht ausgenommen. Schärfer und klarer als die meisten
anderen Staatsgrundgesetze der Deutschen bringt die preußische Verfassungsurkunde
vom 31. Januar 1850 das Prinzip zum Ausdruck, welches, vielfacher Anfechtung zu Trotz, in
der Ordnung des modernen Rechts= und Verfassungsstautes nun doch einmal die Rolle eines
alles tragenden konstruktiven Grundprinzips spielt: das Prinzip der Gewaltenteilung. Mit
lapidarer Einfachheit stellt er die Verfassung hin: Dem Könige allein steyt die vollziehende
Gewalt zu (Art. 45). Die gesetzgebende Gewalt wird gemeinschaftlich durch den
König und durch zwei Kammem ausgeübt (Art. 62). Die richterliche Gewalt wird
im Namen des Königs durch unabhängige, keiner anderen Autorität als der des Gesetzes unter-
worfene Gerichte ausgeübt (Art. 86). — Ebeno, in sachlicher, wenngleich nicht wörtlicher Über-
einstimmung die übrigen deutschen konstitutionellen Verfassungen. Wir haben also in Deutsch-
land, de lege lata, die Gewaltenteilung. Daran ist zunächst nichts zu vertuschen, auch nichts
zu tadeln. Denn — um einem in der deutschen Staatsrechtswissenschaft vielfach verbreiteten
Vorurteile zu begegnen — die Gewaltenteilung gefährdet, so wie sie unser positives Staats-
recht aufgenommen hat, weder die Einheit und Unteilbarkeit der Staatsgewalt, noch die
monarchische Grundstruktur des deutschen Konstitutionalismus. Organisatorische Verteilung
der staatlichen Grundfunktionen ist nicht Zerreißung der Staatsgewalt. Und, was den zweiten
Einwurf anlangt: die Durchführung der Gewaltenteilung involviert durchaus nicht die Er-
setzung der Monarchie durch die Demokratie, insbesondere nicht die ÜUbertragung der höchsten,
der gesetzgebenden Gewalt an die Volksvertretung allein, vielmehr liegt in der Folgerichtigkeit
des Begriffs nur, daß der Wille des Monarchen in der Sphäre der Gesetzgebung nicht allein
maßgebend sein, sondern lediglich im Zusammenwirken mit der Volksvertretung Gesetzeskraft
erlangen soll. Konzessionen an den Gedanken der „Volkssouveränetät“ sollten durch die Auf-
nahme der Gewaltenteilung in Deutschland nicht gemacht werden und sind nicht gemacht worden.
Das monarchische Prinzip sollte als solches nicht angetastet, sondern nur verfassungsrechtlich
ausgestaltet werden, so zwar, daß der Satz: „alle Rechte und Pflichten des Staates vereinigen
sich in dem Oberhaupte desselben“ (Preuß. Allg. Landr. 2 13, §& 1, s. oben S. 9 Anm. 1)
sich verträgt mit der Erfüllung dreier Fordeuungen: Beteiligung des Volkes bei
der Ausübung der Gesetzgebung, Unabhängigkeit der Justiz,
Gesetzmäßigkeit der Verwaltung.
Zweites Kapitel.
Geschichtliche Grundlagen.
§ 4. Rückblicke auf ältere und neuere Epochen der Staatsbildung
in Deutschland.
Literaturauswahl: Kurze Zusammenfassungen der Geschichte des deutschen Staatsrechts
finden sich in den meisten Lehr- und Handbüchern sowohl des deutschen Staatsrechts (vgl. z. B.
H. Schulze, Lehrb. 1, 48 ff.; Meyer-Anschütz § 19 ff.) wie der deutschen Rechtsgeschichte
(ogl. auch die Darstellung der letzteren in dieser Enzyklopädie), ferner in Mejers Ein-
leitung in das deutsche Staatsrecht (2. Aufl. 1884), 3§ 12 ff. Ubersichtliche Gesamtdarstellung der
deutschen Verfassungsgeschichte sind: A. Heusler, Deutsche Verfassungsgeschichte (1905);
Hubrich, Deutsches Verfassungsrecht in geschichtlicher Entwicklung (1913). Von allgemeinen
Geschichtswerken kommen in Betracht: v. Sybel, Begründung des Deutschen Reiches 1 3 ff.;
v. Treitschke, Deutsche Geschichte 1 3 ff. und Politik 2 329 ff.; Bismarck, Gedanken und
Erinnerungen 1 288—296; Kloeppel, Dreißig Jahre deutscher Verfassungsgeschichte Bd. 1