Gewerberecht. 341
Schwierigkeiten hinsichtlich Einhaltung der Lieferzeit können sich durch Streik und
Aussperrung ergeben. Der Streik ist die verabredete Auflösung des Arbeits-
vertrags seitens einer Mehrgeit von Arbeitermn, als Druckmittel gegen ihren Arbeitgeber
oder gegen andere. Das Ziel des Streiks kann sehr mannigfaltig sein: Erzielung besserer Arbeits-
bedingungen, Entfernung mißliebiger Vorgesetzter, Wiedereinstellung Entlassener, Erlangung
ideeller Rechte, sei es gegenüber dem eigenen Arbeitgeber, der zum Abschluß eines Tarifvertrages
oder zur Bestellung eines Arbeiterausschusses gezwungen werden soll, oder gegenüber andern
Arbeitgebern (die sogenannten Sympatyiestreiks, deren Zweck sich darin erschöpft, einer anderen
Arbeitnehmerschaft zum Sieg zu verhelfen), oder endlich gegenüber der Gesamtheit, dem Staat.
Es wird gestreikt, um durch die aus der Arbeitseinstellung für die Gesamtheit erwachsenden
Nachteile die Gesamtheit, d. h. den Staat, zu gesetzgeberischen Maßnahmen (z. B. Wahlreform),
oder zum Einschreiten gegen mißliebige Arbeitgeber (z. B. gegen die Eisenbahnverwaltungen)
zu zwingen. Auch der Umfang des Streiks gestaltet sich verschieden. Es können nur die
Arbeiter einer bestimmten Kategorie oder einer bestimmten Betriebsstätte, nicht die des ganzen
gewerblichen Unternehmens streiken (partielle Streiks), anderseits kann die gesamte Arbeiter-
schaft eines Riesenunternehmens, einer Stadt, eines Landes die Arbeitsverträge auflösen
(Generalstreil). Der Streik kann unter Begehung eines Kontraktbruches erfolgen oder unter
Einhaltung der gesetzlichen oder vereinbarten Kündigungsfrist. Die Rechtsfolgen zwischen
dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer sind danach verschieden. Jeder Kontraktbruch, auch
der durch Eintritt in den Streik vollzogene, berechtigt den Arbeitgeber zur Auflösung des Ver-
trages auch ohne Einhaltung der Kündigungsfrist und zur Schadensersatzforderung. Der
Arbeitgeber braucht aber auch für den schon ausgeführten Teil der Arbeit keinen Lohn zu zahlen,
wenn er infolge der Auflösung des Arbeitsverhältnisses kein Interesse an der Teilleistung hat.
Der Streik der Arbeitnehmer stellt für den Arbeitgeber noch nicht die Unmöglichkeit der Leistung
dar, weil in erster Linie die Möglichkeit, sich zu einigen, offensteht und unter Umständen auch
mit anderen Hilfskräften der Betrieb fortgesetzt werden kann. Gleichwohl entstehen oft aus der
gemeinschaftlichen Arbeitsniederlegung beträchtliche Nachteile, zumal dann, wenn der Abschluß
anderer Arbeitsverträge für den Unternehmer mit Schwierigkeiten verbunden ist. Die Unter-
nehmer erstreben deshalb die vertragliche Hinausschiebung aller Lieferfristen für jeden Streikfall,
die sog. Streikklausel, und deren Einfügung in die Verdingungsvorschriften, wodurch sie aller-
dings jeder Bemühung zur Beseitigung oder sogar zur Verhütung eines Streiks enthoben würden.
Fraglich ist, inwieweit die infolge eines Branchestreikes eingetretene Unmöglichkeit, Roh-
stoffe oder unersetzliche Betriebsmittel (Kohle) oder Werkzeuge zu erhalten, für die Unternehmer,
welche die betreffenden Dinge zur Ausführung einer Arbeit gebrauchen, einen zur Hinaus-
schiebung der Lieferung berechtigenden Grund darstellt. Sicher ist es nicht der Fall, wenn der
Unternehmer in der Lage gewesen ist, jenen Streik vorauszusehen oder seine Aufhebung ohne
unverhältnismäßige Opfer herbeizuführen.
Das Gegenstück zum Streik bildet die Aussperrung. Das ist die Auflösung des Arbeits-
vertrags durch den Arbeitgeber, sofern sie vielen oder allen Arbeitern gegenüber und aus
Gründen des wirtschaftlichen Kampfes erfolgt, d. h. mit der Absicht, die Arbeitsverträge später,
nach Entscheidung dieses Kampfes wieder zu erneuern. Auch für die durch Aussperrung be-
wirkte Auflösung des Arbeitsvertrags gelten, ganz wie für die durch Streik bewirkte, die ge-
wöhnlichen Rechtsregeln, und nur diese. Die Aussperrung steht zur Zeit im freien Belieben
des Arbeitgebers, — trotz der daraus möglicherweise erwachsenden schweren Nachteile für
die Ausgesperrten oder für die Allgemeinheit, — wenn nur die ordnungsmäßige Kündigung
vorausgeht. Im Falle des Kontraktbruches kann der Arbeitnehmer den gewöhnlichen Schadens-
ersatz fordern, wie er auch zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt ist.
Unsere Gesetzgebung betrachtet den Streik und Aussperrung — die durch gleichzeitige
Willensakte und aus denselben Motiven erfolgende Auflösung vieler Arbeitsverträge — ganz
ebenso wie die Auflösung des einzelnen Arbeitsvertrags, als einen, vorbehaltlich der Bestimmungen
über die Kündigungsfrist, durchaus in der Willkür der Vertragschließenden liegenden Akt.
Daß durch diese Willkür unter Umständen die schwersten Gefahren für die Allgemeinheit ent-
stehen können, daß also die Rechtsordnung verpflichtet wäre, sie zu beschränken, oder richtiger,
die bloße Willkür in ein durch die Pflichten gegen die Allgemeinheit (Staatswohl, öffentliche