Deutsches Staatsrecht. 31
gefährlichsten, weil stärksten Feind der Reichseinheit, das Stammesherzogtum, als solchen
erkannten, bekämpften, schließlich zu Boden warfen: die Zertrümmerung der Stammegherzog-
tümer, zuletzt noch des mächtigen sächsischen Herzogtumes, war eine rettende Tat. Zugleich
eine letzte Tat. Denn — ein Ereignis voll gewaltigster Tragik — im Siege besiegt, bricht
das alte Königtum der Sachsen, Salier, Staufer nicht lange nach dem Sturz des letzten der
Stammesherzöge, Heinrichs des Löwen, politisch zusammen. Es ist bekannt, was diesen Zu-
sammenbruch zuletzt verschuldet und damit die dauernde und endgültige Verwirklichung des
nationalen Staatsgedankens auf Jahrhunderte hinaus verhindert hat: die Universalpolitik
unserer mittelalterlichen Könige und Kaiser. Der Wille dieser Herrscher überflog das rechte
nationale Ziel. Ihr Reich wollte ein römisches sein und ein heiliges noch dazu, deshalb ist es
ein deutsches nicht gewesen. Drei gewaltige Dynastien haben für dies traumhafte Kaiserideal,
das Imperium muncdi, mit äußerster Anspannung der politischen und militärischen Kräfte,
deren sie Herr waren, gekämpft und gerungen. Einem Unerreichbaren haben sie sich geopfert,
sich, die Krone, die sie trugen und die Gewalt des deutschen Königtums. Mußten sie doch „die
momentane Dienstwilligkeit ihrer Fürsten durch immer weitere Verleihung politischer Herren-
rechte und damit immer weiterer Schwächung der Monarchie erkaufen.“ Es war eine Welt-
politik, die namentlich in dem Zeitalter der Staufer unter dem schlimmen Zeichen des Kapital-
verbrauchs stand: der Königshort des deutschen Volkes, der Bestand monarchischer Kron-
gewalten wurde angegriffen, Stück um Stück vergabt an ein machtgieriges Vasallentum, an die
Reichsfürsten. So geschah es, daß das innerlich entkräftete Königtum dem Stammesherzogtum
im Sturze folgte; beide Gewalten des früheren Mittelalters, die zentrale wie die partikulare,
gehen zugrunde, die trübe Flut einer langen Anarchie, des großen Interregnums, wälzt sich
über die Trümmer.
Nach dem Interregnum wird freilich das mit dem Kaisertitel geschmückte Königtum
wieder hergestellt, aber die Institution ist nicht mehr die alte, sie kommt der letzteren weder
an gewollter und gedachter, noch an tatsächlicher Machtfülle gleich; eine Würde mehr als ein
Amt, bedeutet das Kaisertum fürderhin im alten Reich nicht mehr einen politischen Faktor,
der an und für sich, aus sich selbst mächtig ist, er hat Bedeutung nur mehr in Verbindung mit
einer kräftigen Territorialgewalt, einer starken Hausmacht. Der König-Kaiser ist Genosse des
Standes, welcher als Erbe der alten königlichen wie der stammesherzoglichen Gewalten er-
scheint: des deutschen Fürstenstandes. Dessen Zeit beginnt nun, im 13. Jahrhundert. Er ist
der Träger eines Partikularismus neuerer Ordnung, des Partikularismus der Landesherr-
schaften (Territorien). Dieser Partikularismus ist durchaus wesensverschieden von dem älteren
Partikularismus der Stammesherzogtümer, indem er nicht, wie letzterer, auf dem geschichtlich er-
wachsenen Einheitsbewußtsein großer natürlicher Gliederungen des Volkes, sondern rein auf der Basis
dynastischen Familienbesitzes aufgebaut war. Die Territorien des Mittelalters und der neueren
Zeit — nichts anderes als die heutigen deutschen Partikularstaaten auf den älteren Stufen ihrer
Entwicklung — sind ursprünglich politische Einheiten und Gemeinwesen in keinem Sinne,
sie sind lediglich Besitzeinyeiten: Land, Leute, Hoheits= und Vermögensrechte, die
auf Grund der verschiedenartigsten Erwerbstitel des Leyn- und Landrechtes in einer und der-
selben Familie gehören, Machtbereiche mit Grenzen, welche die alten Stammesherzogtümer
kreuz und quer durchschneiden, deren Grenzen überspringen, so daß kein einziger dieser werden-
den Partikularstaaten den Anspruch erheben darf, das Ganze eines deutschen Stammes in sich
zu umfassen und dessen geschichtliche Eigenart zu verkörpern.
In den Landezsherrschaften konzentriert sich seit dem 13. Jahrhundert mehr und mehr
das deutsche Staatsleben. Die Machtfrage zwischen Zentralgewalt und Partikulargewalten
ist damals auf Jahrhunderte hinaus zugunsten der letzteren entschieden worden; Träger der
Staatsentwicklung, welche nach dem westeuropäischen Normalverlauf aus dem ständischen Patri-
monialstaat heraus zur absoluten Monarchie und durch diese hindurch zum modernet konsti-
tutionellen Staat führt, ist in Deutschland nicht das Reich, sonderm die Landeshoheit, das
territoriale Fürstentum. Kein Gegensatz kann tiefer und schroffer sein als der zwischen dem
deutschen und dem französischen Staatsbildungsprozeß seit dem Mittelalter her. Hier wie
dort, in Frankreich wie bei uns, sehen wir zur Höhezeit des Mittelalters die Zentralgewalt,
das Königtum, im politischen Kampfe mit partikularen (feudalen) Gewalten. Der Streit,