Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Recht des deutschen Verkehrswesens (Verkehrsrecht). 371 
Dagegen gelten für ganz Preußen zwei Gesetze, die für das Straßenbauwesen von großer 
Bedeutung sind. Die Anlage neuer Straßen ebenso wie der Ausbau, die Verbreiterung be- 
stehender Straßen, bedeuten oft einen Eingriff in bestehende privatrechtliche Verhältnisse und 
stellen namentlich Ansprüche an das private Eigentum. Das Gesetz über die Enteignung von 
Grundeigentum vom 11. Juni 1874 (GS. 221) enthält die näheren Bestimmungen, unter 
welchen Voraussetzungen privates Grundeigentum dem öffentlichen Interesse weichen muß. 
Das Gesetz ist im Abschnitt über Eisenbahnrecht näher behandelt. 
Ferner ist hier das Gesetz, betreffend die Anlegung und Veränderung von Straßen und 
Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften, vom 2. Juli 1875 (GS. 561), das sogenannte Straßen- 
und Baufluchtliniengesetz, zu erwähnen. Dieses soll „die Gemeinden in der Erfüllung der ihnen 
obliegenden Verpflichtung zur Anlegung und Unterhaltung von Straßen entlasten, gleichzeitig 
aber auch die Interessen der Gemeinden mit denen der Grundstückseigentümer ausgleichen“. Es 
sieht ein Verfahren für Festsetzung von Fluchtlinien vor. Die Gemeindevorstände sind verpflichtet, 
unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde für die Anlegung oder Veränderung von Straßen und 
Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften die Straßen- und Baufluchtlinien festzustellen. 
Wenn polizeiliche Rücksichten es verlangen, kann die Ortspolizeibehörde die Festsetzung fordern. 
Die Straßenfluchtlinien fallen regelmäßig mit den Baufluchtlinien zusammen, d. h. mit den 
Grenzen, über welche hinaus die Bebauung ausgeschlossen ist. Es können aber aus besonderen 
Gründen von den Straßenfluchtlinien verschiedene, hinter diesen zurückweichende Baufluchtlinien 
festgesetzt werden, z. B. Anlegung von Vorgärten (§ 1). Die Festsetzung der Fluchtlinien kann für 
einzelne Straßen und Straßenteile oder aber, nach dem voraussichtlichen Bedürfnis der näheren 
Zukunft, durch Aufstellung von Bebauungsplänen für größere Grundflächen erfolgen (§ 2). Nach 
Zustimmung der Ortspolizeibehörde, die diese indes nur aus polizeilichen Rücksichten versagen 
darf (§5), legt der Gemeindevorstand den Plan zu jedermanns Einsicht aus (§7). Über etwaige 
Einwendungen, die innerhalb einer Präklusivfrist zu erheben sind, verhandelt der Gemeinde- 
vorstand mit den Antragstellern. Kommt es nicht zu einer Einigung, dann entscheidet die betreffende 
Verwaltungsbeschlußbehörde. Sind dagegen keine Einwendungen erhoben, oder ist über solche 
endgültig entschieden, so muß der Gemeindevorstand den Plan förmlich feststellen und ihn wiederum 
zu jedermanns Einsicht öffentlich auslegen (§ 8). Mit dem Tage dieser Auslegung tritt die 
Beschränkung des Grundeigentümers ein, daß Neu-, Um- und Ausbauten über die Fluchtlinie 
hinaus versagt werden können. Gleichzeitig erhält die Gemeinde das Recht, die durch den Plan 
für Straßen und Plätze bestimmte Grundfläche dem Eigentümer zu entziehen (5 11). Die Ent- 
schädigungsfrage regeln die ## 13 und 14. 
§ 8. Wegebaulast. 
Die Wegebaulast oder Wegepflicht ist die öffentlichrechtlich erzwingbare Verpflichtung, 
die Anforderungen des öffentlichen Verkehrs an die Wege zu befriedigen. Ihr Umfang ist 
z. B. nach den genannten vier preußischen Wegeordnungen etwa dahin zu begrenzen, daß sie 
die Verpflichtung zur Anlegung, Verlegung und Einziehung der Wege, zu ihrer dem Ver- 
kehrsbedürfnis entsprechenden Unterhaltung, Verbreiterung, Verbesserung, zur Beseitigung von 
Verkehrshindernissen auf ihnen und zur Gewährung der durch Anlegung, Verbreiterung, Ver- 
besserung, Verlegung und Einziehung von Wegen sowie durch Umwandlung von Privat- 
wegen in öffentliche, gesetzlich begründete Entschädigung umfaßt. Sie erstreckt sich auch auf 
die Anlegung und Unterhaltung aller Zubehörungen, also aller Vorrichtungen, die „zur Voll- 
ständigkeit der Wegeanlage oder zu ihrem Schutz und ihrer Sicherheit und Benutzung“ gehören. 
Nicht aber umfaßt sie die Anlegung und Unterhaltung von Anstalten und Vorrichtungen, die 
einem der Wegeanlage fremden Zwecke dienen, so z. B. dem Schutz gegen polizeiwidrige Zu- 
stände auf einer an den Weg grenzenden Anlage. Auch die Beleuchtung gehört in der Regel 
nicht dazu, vielmehr nur, wenn sie zur Sicherung des Verkehres auf dem Wege notwendig ist, 
z. B. wenn Reparaturen auf ihm vorgenommen werden. UÜber die Reinigung der öffentlichen 
Wege besteht nunmehr in Preußen das Gesetz vom 1. Juli 1912 (GS. S. 187). Es regelt aber 
einerseits nicht nur die aus Verkehrsrücksichten notwendige Reinigung, sondern namentlich die 
im Interesse der Gesundheitspflege und Reinlichkeit, also aus weitergehenden polizeilichen An- 
forderungen sich ergebende Reinigung, und spricht daher von der „polizeimäßigen Reinigung“, 
die die „verkehrsmäßig“ einen Teil der Wegebaulast bildende Reinigung umfaßt. Die polizei- 
mäßige Reinigung öffentlicher Wege, einschließlich der Schneeräumung, des Bestreuens mit 
abstumpfenden Stoffen und des Besprengens zur Verhinderung von Staubentwicklung liegt 
danach, soweit hierzu nicht ein andrer nach den Bestimmungen des Gesetzes verpflichtet ist, als 
247
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.