Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

Deutsches Staatsrecht. 37 
politischen Charakter auf: ein Versicherungsverhältmis, welches die deutschen Dynastien auf 
Gegenseitigkeit abgeschlossen hatten wider die Bestrebungen derjenigen ihrer Untertanen, welche 
die leitenden politischen Anschauungen des sog. Restaurationszeitalters nicht teilten. 
Der Deutsche Bund war nach seiner Entstehung, den authentischen Definitionen seiner 
Grundverträge und den offiziellen Erklärungen bei der Eröffnung seiner Wirksamkeit ein 
Staatenbund. S.NA. Art. 1 bezeichnet ihn als einen „völkerrechtlichen Verein der 
deutschen souveränen Fürsten und Freien Städte", Art. 2 das. hebt hervor: „Dieser Verein 
besteht in seinem Innemmn als eine Gemeinschaft selbständiger unter sich unabhängiger Staaten, 
mit wechselseitigen gleichen Vertrags pflichten und Vertragsobliegenheiten, in seinen 
äußeren Verhältnissen aber als eine in politischer Einheit verbundene Gesamtmacht.“ 
Femer ergibt sich aus Art. 32 und 53 S.A., daß das Bundesveryältnis nur die Staaten, nicht 
auch deren Untertanen ergreife, daß „der Bundesversammlung eine unmittelbare Einwirkung 
auf die innere Verwaltung der Bundesstaaten nicht zustehe". Mit alledem wollte gesagt sein, 
daß der Deutsche Bund nur ein „Bund“, d. h. ein Gesellschaftsverhältmis souveräncr, souverän. 
gebliebener Staaten, nicht ein Staat mit bündischer Verfassungsform war, daß die „Gesamt- 
macht“, als welche Deutschland in Gestalt dieses Bundes erschien, eine nur „politische" Einheit, 
d. h. das Gegenteil einer juristischen, staatsrechtlichen Einheit darstellte, daß für das Bundes- 
verhältnis der deutschen Staaten das Völkerrecht maßgebende Norm war, — das Völker- 
recht, welches die Staaten zwar bindet, aber nicht unterwirft und ihre Untertanen, die einzelnen 
Individuen überhaupt nicht berüyrt noch erreicht. Kurz: der Typus des Staatenbundes in 
seinem charakteristischen Abstande von dem des Bundesstaates. Bei der Eröffnung der ersten 
Bundesversammlung im November 1816 interpretierte der Gesandte der „Präsidialmacht" 
Osterreich die Absichten der Bundesgründer dahin: „Deutschland war im Laufe der Zeit weder 
berufen, die Form einer Einherrschaft oder auch nur eines wahren Bundesstaates zu 
während .. sondern in der Zeitgeschichte ist Deutschland dazu berufen, einen zugleich die 
Nationalität sichenden Staaten bund zu bilden.“ Man war sich mithin vollkommen klar 
darüber, wie weit man in der Einigung Deutschlands, der Verbündung der deutschen Staaten 
gehen wollte. Man wollte den „Staatenbund“, nicht den „Bundesstaat“. So wennig der letztere 
Begriff damals noch dogmatisch geklärt sein mochte, man verband doch damit, und zutreffender- 
weise, die kennzeichnende Vorstellung einer über den Einzelstaaten schwebenden, ihnen gegen- 
über selbständigen, sie alle beherrschenden Zentralgewalt. Die wollte man, wie nicht nur jene 
Eröffnungsansprache, sondern der Gesamtinhalt der Kongreßverhandlungen, aus denen die 
B.A. heworgegangen ist, nicht, und niemals wird der Beweis gelingen, daß die deutschen 
Regierungen 1815 und 1820 den Bundesstaat wider Willen dennoch geschaffen haben (Iirrtüm- 
liche Ansicht von Kloeppel, 30 Jabre deutscher Verfass.-Gesch. 1 23 ff., vgl. dawider 
Anschütz in der Histor. Zeitschr. 1901, S. 325, 320). 
IV. Die Bundesversammlung. — Träger des Bundeswillens war die Gesamtheit der 
verbündeten Staaten, welche letzteren ausschließlich und voll repräsentiert wurden durch ihre 
Regierungen; demgemäß war das unmittelbare und, wie sogleich hinzuzufügen ist, einzige 
Bundesorgan die Versammlung der Bevollmächtigten all dieser Regierungen: die Bundes- 
versammlung oder der „Bundestag"“". „Die Bundesversammlung, aus den Be- 
vollmächtigten sämtlicher Bundesglieder gebildet, stellt den Bund in seiner Gesamtheit vor 
und ist das beständige verfassungsmäßige Organ seines Willens und Handelns.“ „Die einzelnen 
Bevollmächtigten am Bundestage sind von ihren Kommittenten unbedingt abhängig und diesen 
allein wegen getreuer Befolgung der ihnen erteilten Instruktionen, sowie wegen ihrer Geschäfts- 
fübrung übergaupt verantwortlich“ (S.A. Art. 7 und 8). Der Bundestag hatte hiernach den 
Charakter eines ständigen Gesandtenkongresses. Sein Sitz war die freie Stadt Frankfurt a. M. 
Den Vorsitz in der Versammlung führte, vertreten durch seinen „Präsidialgesandten“ Oster- 
reich (B.A. Art. 5), ohne daß jedoch hierdurch eine materiell bevorrechtigte, hege- 
monische Stellung dieses — de lacto freilich führenden und vorherrschenden — Staates be- 
gründet gewesen wäre: andere als formell geschäftsleitende Befugnisse hatte die „Präsidial- 
macht" nicht. 
Ein völkerrechtlicher Gesandtenkongreß strengen Stils kennt nur gleichberechtigte Ver- 
treter gleichberechtigter Staaten und nur einstimmige Vereinbarungen, keine Beschlußfassung
	        
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