Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

420 Ernst Blume. 
§ 36. Internationales Luftfahrtsrecht. 
Kein Zweig des Verkehrsrechts ist aber so wie das Luftfahrtsrecht auf eine inter- 
nationale Regelung angewiesen. Die außerordentliche Beweglichkeit und Schnelligkeit 
der Fahrzeuge und die nicht abzuleugnende Abhängigkeit von atmosphärischen Einflüssen, nament- 
lich Nebel und Unwetter, führen leicht dazu, daß die Landesgrenzen überflogen werden und auf 
fremder Erde gelandet werden muß. 
Die hieraus sich ergebenden Komplikationen beschäftigen die Rechtswissenschaft schon 
lange. Man fragt sich, ob es ein Staat sich ohne weiteres gefallen lassen muß, daß Angehörige 
eines anderen Staates in dem über seinem Staatsgcbiete liegenden Luftraum fliegen. Wieder- 
holt haben sich auch von vielen europäischen Staaten beschickte Kongresse mit diesen Problemen 
befaßt. Man hat sich aber bisher zu einer allgemeinen Einigung nicht zusammenfinden können. 
Weder den Grundsatz vom freien Luftraum, des Pair est libre, den man, dem Satze vom mare 
liberum des Grotius folgend, aufstellt, noch den der unbeschränkten Verkehrsfreiheit, die nur 
durch die Maßregeln zur eigenen Sicherheit der betreffenden Staaten, beeinflußt wird, hat 
man allgemein anerkennen können. Und ehe wir zu einem europäischen oder gar einem 
Weltluftfahrtsrecht kommen, wird noch etwas Zeit vergehen, namentlich wenn man an das 
starre Verhalten Englands und Rußlands dabei denkt. 
Bei dieser Sachlage ist es besonders zu begrüßen, daß das klassische Land der lenkbaren. 
Luftschiffahrt, Deutschland, und das des Luftfluges, Frankreich, sich entschlossen haben, einen 
modus vivendi einzuführen, der wohl der Ausgangspunkt dieser allgemeinenen Regelung 
werden kann. Den letzten Anstoß dazu haben die unfreiwilligen Landungen deutscher Luft- 
fahrzeuge in Luneville und Arracourt gegeben. 
Es sind zwischen dem Deutschen Reiche und der französischen Republik vom 15. August 
1913 bis auf weiteres geltende Bestimmungen vereinbart, nach denen grundsätzlich zwischen 
Luftfahrzeugen, die der Militärverwaltung gehören, oder unter deren Insassen sich Militär- 
personen in Uniform befinden und Luftfahrzeugen, die weder der Militärverwaltung gehören, 
noch Militärpersonen zu ihren Insassen zählen, also kurz Heeresluftfahrzeugen und Privatluft- 
fahrzeugen unterschieden wird. 
1. Heeresluftfahrzeug e dürfen die Grenze nur auf „Einladung“ der Regierung 
des anderen Staates überfliegen oder dort landen. Indes darf den Luftfahrzeugen im Falle 
der Not der Aufenthalt auf fremdem Staatsgebiet nicht untersagt werden; jedoch sollen zur 
Vermeidung derartiger Fälle den Luftfahrern (Luftschiffern heißt es im Text der deutschen 
Veröffentlichung Rel. 1913 S. 602 u. 605) von ihrer Regierung geeignete Weisungen 
erteilt werden. Für den Fall, daß ein solches Luftfahrzeug über fremdes Gebiet verschlagen 
wird, muß es das Notsignal geben und so bald als möglich landen. Der Führer hat dann die 
nächste Zivil- oder Militärbehörde des fremden Staates unmittelbar nach der Landung zu be- 
nachrichtigen, und die Militärbehörde muß schleunigst eine Untersuchung vornehmen, die aber 
lediglich darauf beschränkt ist, festzustellen, ob ein Fall der Not vorliegt. Wird dies anerkannt, 
so hat die Militärbehörde dem Offizier, der das militärische Personal des Luftschiffs führt, das 
Ehrenwort darüber abzuverlangen, daß weder er selbst noch ein anderer Insasse des Luftfahr- 
zeugs auf oder über fremdem Gebiet eine Handlung begangen hat, durch welche die Sicherheit 
des überflogenen Staates berührt werden könnte. Als solche Handlungen werden beispiels- 
weise genannt Aufzeichnungen, photographische Aufnahmen oder Zeichnungen und Absendung 
von Funkentelegrammen. Hierauf wird dem Luftfahrzeug gestattet, in seinen Heimatstaat 
zurückzukehren, und zwar unter den von der Militärbehörde festgesetzten Bedingungen auch 
auf dem Luftweg. Läßt sich die Rückkehr nicht sofort ausführen, so genießt das Heeresfahrzeug 
während seines Aufenthalts im fremden Lande nebst seinen Insassen das Recht der Exterri- 
torialität, d. h. es darf keine Maßnahme gegen Schiff und Insassen getroffen werden, 
die nicht aus Gründen der Staatssicherheit oder öffentlichen Gesundheit geboten ist, oder die 
Abwendung einer unmittelbaren Gefahr von Personen oder Sachen bezweckt. 
Wird dagegen ein Fall der Not, der die Landung rechtfertigte, nicht festgestellt, so wird 
die Sache von der untersuchenden Militärbehörde der Gerichtsbehörde unter gleichzeitiger Be- 
nachrichtigung ihrer Regierung übergeben.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.