Deutsches Staatsrecht. 41
Monarch, so wird gelehrt, soll allein die ganze Staatsgewalt ausüben, noch soll es die Ver-
sammlung oder Vertretung des „souveränen“ Volkes, das eine wie das andere ist Tyrannis,
Despotismus, in dem einen Falle von der monarchischen, in dem anderen von der demokratischen
Art. Die Ausübung der Staatsgewalt soll vielmehr verteilt werden unter die — bei-
zubehaltende — Krone und die — einzuführende — Repräsentation des Volkes. Die monar-
chische Spitze des Staatsgebäudes soll weiterbestehen, aber in ihrer verfassungsmäßigen Macht
reduziert werden auf die Stellung des Trägers der Exekutive, der vollziehenden Gewalt, welche
den Staat regiert in den Schranken und nach Maßgabe der von der Volksvertretung (unter
dem Vetorecht des Monarchen) beschlossenen Gesetze. So Montesquieu. Seine Theorie gibt
sich den Anschein, als knüpfe sie an wirklich vorhandene Rechtsverhältnisse an, nämlich an die
englischen Verfassungseinrichtungen; trägt doch das berühmte Kapitel des Esprit des lois,
welches die Quintessent der konstitutionellen Gedanken seines Verfassers enthält (Buch XI Kap. 6)
die Uberschrift: De la constitution d'Angleterre. Daran war nun freilich kaum etwas Richtiges;
insbesondere lag der englischen Parlamentsverfassung der Gedanke der Gewaltenteilung nicht
zugrunde. Nicht die englische Parlamentsverfassung, wie sie im 18. Jahrhundert war, sondem
die politischen Gedanken, welche Montesquien dieser Verfassung angedichtet und mehr in sie
hinein= als aus ihr herausgelesen hat, sind auf dem Kontinent rezipiert worden. Und so ist
denn der Ubergang der kontinentalen Staaten, Frankreichs voran, zur konstitutionellen Ver-
fassungsform richts als eine großartige Umsetzung der Theorie in die Wirklichkeit, es ist der
Siegeszug eines nach Ursprung und Ausgestaltung zunächst rein rationalistischen Systems,
welches freilich getragen wurde vor den politischen, sozialen, wirtschaftlichen Anschauungen
und Forderungen der emporsteigenden bürgerlichen Gesellschaft, und welches eben aus dieser
Verbindung mit zukunftsreichen Klasseninteressen seine mächtig werbende Kraft zog. —
Die europäische Rezeption der konstitutionellen Theorie begann naturgemäß in ihrem
eigentlichen Ursprungslande, in Frankreich I. In der französischen Verfassung vom 3. Sept.
1791 (dem ersten der zahlreichen Staatsgrundgesetze der Revolutionszeit) sind die hauptsäch-
lichsten Thesen Montesquieus, vor allem die Gewaltenteilung zum Teil in wörtlicher Wieder-
gabe artikuliert. Abweichend von Montesquien wird das Prinzip der Volkssouveränetät aus-
drücklich und scharf betont („ie principe de toute souveraineté réside dans la Nation“); der
Volksvertretung ist die gesetgebende Gewalt übertragen, das Königtum noch beibehalten in
der Rolle eines erblichen Trägers der Exekutive. Diese Verfassung von 1791 (von vorbild-
lichem Einfluß auf manche außerdeutsche Verfassungen des 19. Jahrhunderts, insbesondere
auf das Staatsrecht der französischen Julimonarchie und die belgische Verfassung von 1831)
bedeutete für Frankreich selbst einen nur vorübergehenden Erfolg der konstitutionellen Theorie,
sofern die französische Verfassungsentwicklung der Folgezeit die von Montesquien vorgezeich-
neten Bahnen alsbald wieder verläßt, um zunächst den Gedanken der absoluten, jede Gewalten-
teilung perhorreszierenden Demokratie (Konventsverfassung von 1793), sodann aber, in das
entgegengesetzte absolutistische Extrem umschlagend, den Typus des „Cäsarismus“, der durch
parlamentarische Einrichtungen nur zum Schein beschränkten monarchisch-militärischen Auto-
kratie (Konsularverfassung, erstes Kaiserreich) zu verwirklichen. Die cigentlich konstitutionelle
Entwicklung setzt in Frankreich erst wieder ein mit der Restauration der Bourbonen im Jahre
1814. Und damit tritt die konstitutionelle Bewegung in eine neues Stadium, welches um so
bemerkenswerter ist, als es zugleich die erste Phase des deutschen Konstitutionalismus in
sich schließt.
Der in die absolute Vollgewalt seiner Vorfahren restituierte König Louis XVIII. gibt
Frankreich am 4. Juni 1814 eine konstitutionelle Verfassung, genannt „Charte constitution-
nelle“. Er gibt, verleiht sie aus königlicher Machtvollkommenbeit und prägt ihr durch-
aus unzweideutig ihren rechtlichen und politischen Charakter auf: den einer Selbstbeschrän-
kung derabsoluten Monarchie. Diese Selbstbeschränkung ist freilich eine unwider-
1 Amerika bleibt hier außer Betracht. Dort erfolgt die Aufnahme des Prinzips der Gewalten-
teilung noch vor der französischen Revolution durch die nordamerikanische Bundesverfassung
von 1787 und der ihr voraufgehenden einzelstaatlichen Konstitutionen (Jellinek, Staatsl.
—⁊ ffon jedoch nicht auf dem Boden einer gemischten Staatsform, sondern auf dem der reinen
emokratie.