Deutsches Staatsrecht. 47
den nicht zum Richterstande gehörigen Staatsbeamten; VIII. Von den Finanzen; IX. Von
den Gemeinden, Kreis-, Bezirks= und Provinzialverbänden; — sowie zwei Schlußabschnitte:
„Allgemeine Bestimmungen“ (Art. 106—111) und „lllergangebestimmungeme (Art. 112—119).
§ 8. Deutsche Einheitsbestrebungen zur Bundeszeit. 1
I. Einleitung. — An der Schwelle eines den nationalen Einheitsbestrebungen endliche
Erfüllung spendenden Zeitalters sprach Bismarck dem damals schon bei den Toten liegenden
Deutschen Bunde die Gedächtnisworte: „Der frühere Deutsche Bund erfüllte in zwei Rich-
tungen die Zwecke nicht, für welche er geschlossen war; er gewährte seinen Mitgliedern die ver-
sprochene Sicherheit nicht, und er befreite die Entwicklung der nationalen Wohlfahrt des deutschen
Volkes nicht von den Fesseln, welche die historische Gestaltung der inneren Grenzen Deutsch-
lands ihr anlegten“ (Rede bei Vorlage des Entwurfs der norddeutschen Bundesverfassung an
die Bevollmächtigten der verbündeten Regierungen, 15. Dezember 1866). Der Baumeister
des neuen Reichs verkündete hier lediglich ein Urteil, welches die deutsche Geschichte längst rechts-
kräftig gefällt hatte. Der Deutsche Bund erfüllte das Maß von Einheit nicht, auf welches das
deutsche Volk einen historisch begründeten Anspruch hat: die staatliche Einheit; und er
sperrte, soviel an ihm lag, die Wege auch zu dem anderen Ziel, welches, neben der nationalen
Einheit, dem seit den Befreiungskriegen heranwachsenden Geschlecht vor Augen schwebte: zu
der Freiheit des Menschen und Staatsbürgers. Das politische Meinen und Wünschen
weiter und wahrlich nicht der schlechtesten Kreise des Volkes rief seit den Tagen der Befreiungs-=
kriege immer lauter nach dem nationalen Staat, und es begehrte diesen als den Staat der politisch
Freien, den modernen konstitutionellen Staat. In der Beteiligung und Mitarbeit einer Ver-
tretung des gesamten deutschen Volkes an der Ordnung der nationalen Angelegenheiten sollten
die konstitutionellen Einrichtungen ihre oberste, zentrale Verkörperung finden. Es ist der Ge-
danke des „deutschen Parlaments“ — ein Zauberwort, in dem sich, mit zunehmender
Energie seit Anfang der vierziger Jahre, das bislang mehr traumhafte Verlangen des Volkes
nach Einheit und Freiheit verdichtet, in dem es greifbare Gestalt annimmt. Man forderte zu-
nachst Einführung einer Volksvertretung in den Organismus des Deutschen Bundes; dahinter
stand die Wandlung des Bundes in einen Bundesstaat, einen konstitutionellen Musterstaat.
So namentlich in der aufgeregten und gärenden Zeit, welche den revolutionären Ausbrüchen
des Frühjahres von 1818 voraufgeht (Versammlungen zu Heppenheim und Offenburg, Herbst
1847; Antrag Bassermann in der badischen zweiten Kammer auf Berufung eines deutschen
Parlaments, Februar 1848), und während dieses ereignisreichen Frühlings selbst. Die jetzt
mächtig losbrechende Einheitsbewegung war von Hause aus eine rein „inoffizielle“, aus dem
Volke heraus geborene, durch Männer geführt, die staatsrechtlich nicht Amt noch Auftrag zu
solcher Führung hatten; was die Träger der Staatsgewalt, die Regierungen, dabei leisteten,
war zunächst nicht mehr als eine Art passiver Assistenz. Am 5. März 1848 findet sich in Heidel-
berg eine Schar einflußreicher Politiker zusammen, welche, 51 an der Zahl, die Ausarbeitung
einer gesamtdeutschen Verfassung beschließt, hierzu einen Ausschuß niedersetzt und beim Aus-
einandergehen diesem Ausschuß den Auftrag hinterläßt, alsbald eine groste Vertrauensmänner-
versammlung nach Frankfurt a. M. einzuberufen, welche — als „VBorparlament“ —
das Werk der deutschen Einheit weiter in die Hand nehmen sollte.
Wollte der Bundestag, die Gesamtheit der Regierenden in Deutschland, nun noch in die
vorwärts stürzende Bewegung eingreifen oder gar deren Leitung übernehmen, so tat Eile not.
Und so entschließt sich denn der Bundestag zu einer Parallelaktion in der nationalen Frage, um.
der Heidelberger Versammlung und dem herannahenden Vorparlament in letzter Stunde den
Rang abzulaufen; die wichtigsten der einschlägigen, jäh und größtenteils ohne Instruktions-
einholung gefaßten Bundesbeschlüsse sind: der vom 10. März, welcher eine Kommission von
1i v. Sybel, Begründung des Deutschen Reiches 1, Buch II—IV, 2 S. 1—97, 333 ff.,
521 ff.; Friedjung, Kampf um die Vorherrschaft in Deutschland, Bd. 1:1 Binding, Der
Versuch der Reichsgründung durch die Paulskirche (1892). Quellenwerke: Roth und Merck,
Quellensammlung zum deutschen öffentlichen Recht (1850, 1852); Weil, Quellen und Akten-
stücke z. deutsch. Verfass.-Gesch. (1850).