Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

614 Ludwig Laß. 
Vorbild. Hier gilt das Losungswort: „Internationale Einheit des Zieles und nationale An- 
passung der Mittel“ 1. 
Der Rechtszustand, wie er gegenwärtig in den außerdeutschen Staaten Europas besteht, 
wird in den nachfolgenden Paragraphen kurz erörtert. 
§ 34. Krankenversicherung. 
In den europäischen Staaten finden wir, was die Krankenversicherung anlangt, teils 
freiwillige Versicherung, teils Zwangsversicherung und teils freiwillige 
Versicherung für bestimmte Gruppen der Bevölkerung, teils Zwangsversicherung für andere 
Bevolkerungsgruppen (gemischtes System). 
Ausschließlich freiwillige Versicherung besteht in solchen Staaten, 
welche streng an der Anschauung festhalten, daß die möglichste Freiheit des Einzelnen den Ur- 
quell der menschlichen Fortschritte bedeute. Dies gilt von Belgien (Ges. v. 3. April 1851, 
23. Juni 1894, 19. März 1898), Schweden (Ges. v. 4. Juli 1910), Dänemark (Ges. v. 
12. April 1892), Spanien (Ges. v. 30. Juni 1887), den Niederlanden (in freien 
Krankenkassen) und Finland (Ges. v. 2. September 1897). 
Ausschließlich Zwangsversicherung besteht in Rußland (Ges. v. 23. Juni 
1912, Russ. Gesetzsammlung Teil I Nr. 2141), Luxemburg (Ges. v. 31. Juli 1901 und 21. April 
1908), und Rumänien (Ges. v. 25. Januar 1912/7. Februar 1912). 
Bei dem gemischten System lassen sich wieder unterscheiden solche Länder, welche 
den Schwerpunkt auf die freiwillige Versicherunglegen und die Zwangsversicherung 
nur für Ausnahmefälle eingeführt haben, und solche Länder, bei welchen — wie im Deutschen 
Reiche — die Zwangsversicherung die Regel bildet. Zu den Ländem der ersteren Art 
zählen Fran kreich, wo die Zwangsversicherung sich nur auf die Bergleute erstreckt (Ges. 
v. 15. Juli 1850, 1. April 1898, 29. Juni 1894), Jtalien, wo die Zwangsversicherung nur für 
Arbeiterinnen im Alter von 15 bis 50 Jahren gilt (Ges. vom 15. April 1886, 17. Juli 1910) und 
die Schweiz, wo Zwangsversicherung für Kantone und Gemeinden ermöglicht ist (Ges. v. 
13. Juni 1911). In den übrigen Staaten ist die Zwangsversicherung vorherrschend, 
so in Osterreich (Ges. v. 30. März 1888, 4. April 1889, 11. Februar 1913), Ungarn 
(Ges. A. XIX 1907), Großbritannien (Ges. v. 16. Dezember 1911), Norwegen 
(Ges. v. 18. September 1909, 1. April 1911), Serbien (Ges. v. 29. Juni und 12. Juli 1910). 
Einer Versicherung gegen Krankheit entbehrt noch Griechenland, das nur eine 
Krankenfürsorge für Seeleute (nach dem Handelsgesetzbuch) und für in Berg= und Hüttenwerken 
beschäftigte, durch Bruderladen gesicherte Arbeiter kennt. 
§ 35. Unfallversicherung. 
Auf dem Gebiete der Unfallfürsorge stehen sich in den europäischen Ländern zwei 
Systeme gegenüber. Das System der privatrechtlichen Entschädigungs- 
pflicht (Haftpflicht) und das System der Versicherung. Mehrfach sind auch beide 
Systeme miteinander verschmolzen. Die privatrechtliche Entschädigungspflicht ist nicht nur auf 
die Fälle eines Verschuldens der in Anspruch Genommenenen beschränkt, sonderm meist auch 
dahin erweitert worden, daß man die Haftung des Unternehmers für seine Leute festsetzte. 
Häufig ist auch der Grundsatz durchgeführt, daß die moderne Industrie, welche Gefahren schafft, 
von Rechts wegen zur Entschädigung der durch diese Gefahren entstandenen Unfälle verpflichtet 
sei (Theorie des risque professionel). 
Das Versicherungssystem ist wiederum ein zweifaches. Entweder besteht 
Zwangsversicherung in Zwangsorganisationen (wie im Deutschen Reich, Osterreich, Ungarn 
Rußland, Norwegen, den Niederlanden, Luxemburg, Rumänien, Serbien), oder es besteht ein 
Versicherungszwang in der Art, daß die Unternehmer zwar gezwungen sind, ihre Arbeiter zu 
1 Zu vgl. Verhandlungen des 6. Internationalen Arbeiterversicherungskongresses in Düssel- 
dorf (17.—24. Juni 1902).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.