Deutsches Staatsrecht. 49
(§ 6—67 der Frankf. Verfass.) zeigt große Ahnlichkeit mit der durch die Norddeutsche Bundes-
und heutigen Reichsverfassung zu geltendem Recht erhobenen Regelung dieser Materie (s. unten
s 11); insbesondere war auch damals schon dem Reiche zugedacht das Kriegswesen und die
Marine, die auswärtige Politik und aus dem weiten Kreise der inneren, namentlich Wirtschafts-
und Verkehrspolitik alles dasjenige, was einheitlicher, nationaler Gestaltung und Handhabung
bedürftig erschien, wie Zoll-, Handels-, Gewerbe-, Münz= und Bankwesen, Eisenbahnen, Post
und Telegraphie. Als Obliegenheit des Reiches war ferner, wie heute, bezeichnet die Her-
stellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Zivil-, Straf= und Prozeßrechts. Die letzten
Arbeiten des Frankfurter Parlaments galten der Organisation der zu schaffenden Reichs-
gewalt. Hierbei vertagte man zunächst die schwere „Oberhauptsfrage“, welche nicht nur die
Entscheidung über großdeutsch oder kleindeutsch, österreichische oder preußische Spitze forderte,
sondern auch die Altermative zwischen Monarchie und Republik und, wenn man sich für die
Monarchie entschied, die Wahl zwischen Erb- und Wahlkaisertum in sich schloß, und einigte sich
dahin, daß die Gewalt des Deutschen Reichs ausgeübt werden solle durch das Reichsober-
haupt und den Reichstag. Letzterer, die Vertretung des deutschen Volkes, sollte nach
dem Zweikammersystem in ein „Staatenhaus“ und ein „Volkshaus“ gegliedert sein, der politische
Schwerpunkt jedenfalls in das aus allgemeinen, direkten und geheimen Wahlen (Wahlgesetz
vom 12. April 1849) hervorgehende Volkshaus fallen, indes das Staatenhaus, dessen Mitglieder
ohne imperatives Mandat je zur Hälfte von den Regierungen und von den parlamentarischen
oder ständischen Repräsentativkörpern (Landtagen) der deutschen Einzelstaaten ernannt werden
sollten, dazu bestimmt war, den partikularen Faktoren ein beschränktes Maß von Einfluß auf die
Bildung des Willens der Reichsgewalt zu gewähren. Am 27. März 1849 entschied dann die
Nationalversammlung das Oberhauptsproblem im Sinne des „Erbkaisertums“, also der erblichen
Monarchie; zum ersten „Kaiser der Deutschen" behielt man sich für den folgenden Tag vor, einen
der regierenden deutschen Fürsten zu wählen, in dessen Hause dann die Kaiserkrone nach dem
Rechte der Erstgeburt und agnatischen Linealfolge forterben sollte. Damit war das Blankett
des abstrakten „Reichsoberhaupts“ durch eine monarchische Formel ausgefüllt — politisch ge-
wertet, eine mehr scheinbare als wirkliche Monarchie 1; der Sache nach sollte Parlaments-
herrschaft eintreten, vermittelt durch ein dem Reichstag unbedingt verantwortliches und
gefügiges Reichsministerium, bezeichnet vor allem durch die Institution des nur suspen-
siven Vetos der Reichsregierung gegenüber den — selbst verfassungsändernden — Be-
schlüssen des Reichstags.
Die vorstehend in ihren Grumndzügen geschilderte Verfassung wurde am 28. März 1849
von dem Parlament im ganzen angenommen und in einem „Reichsgesetzblatt“ mit der Eingangs-
formel „die deutsche verfassunggebende Nationalversammlung hat beschlossen und verkündigt
als Reichsverfassung“ publiziert #. An dem gleichen Tage schritt man zur Kaiserwahl; mit 290
gegen 248 des Votums sich enthaltenden Stimmen wurde König Friedrich Wilhelm IV. von
Preußen zum „Kaiser der Deutschen“ gewählt. Ein Doppeltes war ihm damit zugemutet.
Einmal das Anerkenntnis, daß die Paulskirche in der Tat die Konstituante sei, als welche sie
sich gab, daß ihr Wille Gesetz sei, ohne der Zustimmung der deutschen Staatsgewalten noch zu
bedürfen. Sodann die Aufgabe, sich und die Kräfte seines Staates einzusetzen für die demo-
kratischen und unitarischen (die deutschen Monarchen mediatisierenden, sie zu Untertanen von
Kaiser und Reichsparlament herabdrückenden) Gedanken der Frankfurter Reichsverfassung,
letztere in Geltung zu setzen ohne und wider den Willen der deutschen Regierungen, gegen den
Widerstand Osterreichs und der deutschen Mittelstaaten. Wer es darf, mag mit dem König
rechten, daß er sich nicht hineinfand in diese Rolle eines Fronvogts der Volkssouveränetät, eines
Vollstreckers von Verfassungsidealen, die ihm und der historischen Eigenart seines Staates von
Grund aus fremd waren. Er lehnte die (ihm durch eine Abordnung des Frankfurter Parla-
1 Formell-staatsrechtlich eine wahre Monarchie. Der Kaiser sollte Träger der Reichsgewalt
sein; vgl. 53 84 der Frankfurter Reichsverfassung: „. Ihm (dem Kaiser) als rüper dieser Gewalt
(der Regierungsgewalt des Reichs) stehen diejenigen Rechte und Befugnisse zu, welche in der Reichs-
verfassung der Reichsgewalt beigelegt und dem Reichstage nicht zugewiesen sind.“ Anders die
Stellung des Kaisers im heutigen Reiche, vgl. unten # 21.
* Abgedruckt bei Binding, Deutsche Staatsgrundgesetze, Heft II.
Eninklopädie der Rechts wissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 4