Sicherheits- und Sittenpolizei. Gesundheitspolizei. Offentliche Armenpflege 529
haftungen, Beschlagnahme, Ausnahmegerichte, Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit
beziehen, können für die Dauer des Belagerungszustandes aufgehoben werden (preuß. G. 8 5).
Gewisse Verbrechen (Hoch= und Landesverrat, landesverräterische Begünstigungen, Brand-
stiftung und andere gemeingefährliche Verbrechen) können mit einer höheren Strafe, auch mit
dem Tode bestraft werden. Militärpersonen treten unter die Kriegsgesetze und erhalten im
Befehlshaber des Ortes den Gerichtsherrn für die höhere Gerichtsbarkeit. Nach den Be-
stimmungen des preuß. Gesetzes können Kriegsgerichte eingesetzt werden.
Die Aufhebung des Belagerungszustandes ist (nach preuß. G. § 3) durch Anzeige an die
Gemeindebehörden und durch die öffentlichen Blätter zur allgemeinen Kenntnis zu bringen.
2. Die Einzelstaaten können auch dann, wenn der Belagerungszustand nicht erklärt ist,
auf Grund ihrer Verfassungen oder anderer Landesgesetze, wenn die öffentliche Sicherheit in
ungewöhnlicher Weise gefährdet ist, gewisse landesrechtliche Bestimmungen vorübergehend
außer Kraft setzen. Für Bayern besteht eine weitergehende Ausnahme, da hier dem Kaiser
das Recht, den Belagerungszustand zu verhängen, nicht zusteht. In Elsaß-Lothringen kann
nach dem RG. über die Vorbereitung des Kriegszustandes vom 30. Mai 1892 im Falle eines
Krieges oder eines unmittelbar drohenden feindlichen Angriffs jeder Militärbefehlshaber, der
mindestens den Rang eines Stabsoffiziers bekleidet, durch Erklärung gegenüber der Zivil-
verwaltung, vorübergehend die Ausübung der vollziehenden Gewalt in dem ihm unter-
stellten Bezirk übemehmen. Uber die Maßnahme ist unverzüglich die Entscheidung des Kaisers
einzuholen und dem Bundesrat und Reichstag Rechenschaft zu geben.
Literatur: Meyer-Dochow" S. 170; Fleischmann, Art. Belagerungszustand,
Wörterb. d. Staats= u. Verwaltungsrechts? 1, 397. — Kommentar zum preußischen Gesetz
vom 4. Juni 1851 von Ebermayer in Stengleins Nebengesetzen" 1, 368.
II. Gesundheitspolizei.
Einleitung.
§s 6. Die Gesundheitspolizei umfaßt die polizeilichen Maßregeln der Medizinal= und
Veterinärpolizei zur Durchführung der öffentlichen Gesundheitspflege. Sie bezweckt die Ab-
wehr von Gesundheitsgefährdungen und die Beschaffung einer möglichst einwandfreien Nahrung.
Als ihre Hauptgebiete lassen sich daher die Seuchen polizei und die Nahrungs-
mittelpolizei abgrenzen. Zahlreiche andere im Interesse der menschlichen Gesundheit
zu ergreifende Maßregeln gelangen auch durch andere Zweige der Verwaltung zur Durch-
führung, denn es bleibt kaum ein Gebiet der Verwaltung von ihnen unberührt. Hierher ge-
hören namentlich die Bestimmungen der Gewerbegesetzgebung über die Arbeitsbedingungen,
insbesondere über den gesundheitlichen Schutz der Arbeitenden, über die Vorbedingungen zur
Ausübung des Berufes als Arzt, Apotheker, Hebamme usw., über die Errichtung von Kranken-
anstalten der verschiedensten Art, über die Anlage von Bauten und Wohnungen, über Be= und
Entwässerung u. a. Ihre Zusammenstellung würde, wie Laband 3, 251 mit Recht be-
merkt, nur eine bunte, unübersichtliche Masse ohne inneren juristischen Zusammenhang ergeben.
Das Medizinal- und Veterinärwesen gehört zu den Angelegenheiten, die nach Art. 4 Ziff. 15
NVerf. der Beaufsichtigung seitens des Reichs und seiner Gesetzgebung unterliegen. Es gehört
zum Geschäftsbereich des Reichsamts des Innern, dem das kaiserliche Gesundheitsamt mit dem
Reichsgesundheitsrat untersteht.
Literatur: Meyer--Dochow, Deutsches Verwaltungsrecht"“ S. 179; Laband
Deutsches Staatsrecht"“ 3, 251; Dochow, Gesundheitspolizei, Handb. d. Politik 2, 537.
1. Senuchenpolizei.
8 7. 1. Seuchen sind Krankheiten, die von Menschen und Tieren auf diese übertragen
werden können. Man hat demnach bei den gesundheitspolizeilichen zwischen medizinal- und
veterinärpolizeilichen Maßregeln zu unterscheiden, je nachdem es sich um die Bekämpfung einer
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band IV. 34