Deutsches Staatsrecht. 55
Der in dem Begleitschreiben zu den „Grundzügen“ vorausgesetzte Fall der Auflösung
des Deutschen Bundes durch Ausbruch des Krieges unter den Bundesgliedern trat vier Tage
später ein: am 14. Juni 1866 nahm der Engere Rat des Bundestages den österreichischen Antrag
vom 1. Juni an und beschloß die Mobilmachung der außerpreußischen Bundesarmeekorps mit
den Stimmen Osterreichs, aller Mittel- 1 und weniger Kleinstaaten gegen die Stimmen der
meisten Kleinstaaten, indes Preußen, gegen jede geschäftliche Behandlung der formell und
materiell bundeswidrigen Sache protestierend, sich an der Abstimmung nicht beteiligte und das
Ergebnis derselben durch den Mund seines Gesandten mit der sofortigen Erklärung beantwortete,
daß Preußen „den bisherigen Bundesvertrag für gebrochen und deshalb nicht mehr verbindlich
ansehe, denselben vielmehr als erloschen betrachten und behandeln würde“, andererseits aber
und weiter erklärte, daß die „nationalen Grundlagen“" des alten Bundes preußischerseits nicht
als zerstört angesehen würden, und daß es eine unabweisliche Pflicht der deutschen Staaten sei,
für die über die vorübergehenden Formen erhabene Einheit der deutschen Nation einen neuen,
angemessenen Ausdruck zu finden.
Darauf entschieden die Waffen.
II. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. — Eine Reihe von Friedensschlüssen
bestätigt und besiegelt die Ergebnisse des deutschen Krieges von 1866. Voran stehen die Friedens-
präliminarien mit Osterreich, abgeschlossen zu Nikolsburg, 26. Juli 1866, welche in allen wesent-
lichen Punkten in den definitiven Friedensvertrag (Prag, 23. August 1866) übergegangen sind.
Die auf die Zukunft Deutschlands bezüglichen Bestimmungen dieser Friedenstraktate lauten:
„Se. Majestät der Kaiser von Osterreich erkennt die Auflösung des Deutschen Bundes an und
gibt seine Zustimmung zu einer neuen Gestaltung Deutschlands ohne Beteiligung des öster-
reichischen Kaiserstaates. Ebenso verspricht Se. Majestät, das engere Bundesverhältnis an-
zuerkennen, welches Se. Majestät der König von Preußen nördlich von der Linie des Mains
begründen wird, und erklärt sich damit einverstanden, daß die südlich von dieser Linie gelegenen
deutschen Staaten in einem Verein zusammentreten, dessen nationale Verbindung mit dem
Norddeutschen Bunde der näheren Verständigung zwischen beiden vorbehalten bleibt.“
Diesen Abmachungen traten die übrigen Kriegsgegner Preußens, soweit sie nicht, wie
Hannover, Kurhessen, Nassau, Frankfurt, durch Eroberung (debellatio) untergegangen und in
dem siegenden Staate aufgegangen waren, bei (Friedensschlüsse mit Württemberg, Baden,
Bayer, Hessen, Reuß ä. L., Sachsen--Meiningen, Königreich Sachsen, August bis Oktober 1866).
Es war damit die Gumndlage geschaffen, auf welcher der Neubau des deutschen Nationalstaates,
zunächst in der Ubergangsgestalt des Norddeutschen Bundes, errichtet werden konnte.
Der Hergang dieser Errichtung begann mit dem Abschluß eines völkerrechtlichen Bünd-
nisses zwischen Preußen und den deutschen Staaten nördlich des Mains, dem Vertrage vom
18. August 1866 („Augustbündnis“mursprüngliche Kontrahenten: Preußen und 15 nord-
deutsche Staaten; Beitritt der beiden Mecklenburg am 21. August, des Großherzogtums Hessen
für seine nordmainischen Gebietsteile durch den Friedensvertrag vom 3. September, des Fürsten-
tums Reuß d. L., des Herzogtums Sachsen-Meiningen und des Königreichs Sachsen am 26. Sep-
tember, 8. Oktober und 21. Oktober, womit die Zahl der Teilnehmer auf 22 gestiegen war).
Das Augustbündnis enthielt einmal den Abschluß eines Angriffs- und Verteidigungs-
bündnisses zwischen den Signatarmächten, mit Ubertragung des Oberbefehls über die Truppen
der Verbündeten an den König von Preußen, sodann femmeer die Klausel, daß diese Allianz, wie
überhaupt das ganze Vertragsverhältnis, nur provisorische Geltung auf längstens Jahres-
frist haben solle. Innerhalb dieser Frist soll nämlich — und dies ist der Hauptinhalt des August-
bündnisses — das „gegenwärtige Bündnis“ durch eine „Bundesverfassung“ ersetzt,
es soll ein „neuer Bund“ geschlossen werden, und zwar „auf der Basis der preußischen Grund-
züge vom 10. Juni 1866 unter Mitwirkung eines gemeinschaftlich zu berufenden Parlaments“.
Der formelle Weg, auf dem die Feststellung der Verfassung des neuen Bundes erfolgen sollte,
war durch Art. 5 des Augustbündnisses dahin vorgezeichnet: „Die verbündeten Regierungen
werden gleichzeitig mit Preußen die auf Grund des Reichstagswahlgesetzes vom 12. April 1849
Außer Baden, welches weder pro noch contra stimmte, sondern eine bundestägliche „Ver-
mittlung“ zwischen Preußen und Osterreich beantragte.