Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Vierter Band. (4)

658 G. Anschütz. 
dann zu unterwerfen“ 1. Dies ist zu bejahen. Die Vereinbarung tritt zutage in der Gesamt- 
heit der 22 Publikationspatente, Verordnungen, Bekanntmachungen und ähnlich benannten 
Akte, welche in der Zeit vom 21. bis 27. Juni 1867 (3. B. preußisches Publ.-Pat. vom 24. Juni, 
GS. 1867 S. 817) den Text der Bundesverfassung für jeden der beteiligten deutschen Staaten 
mit der Erklärung verkündigten, daß die Verfassung am 1. Juli 1867 in Kraft treten 
werde. 
Dieses „Inkrafttreten“ sollte nicht den Geltungsbeginn eines Landesgesetzes 
bedeuten. Sondern das wollte gesagt sein, daß mit dem dies a quo, dem 1. Juli, der Staat 
Preußen, Sachsen usw. dem alsdann entstehenden, durch die kundgemachte Verfassung ge- 
ordneten Bundesstaate angehören werde. So ist der 1. Juli 1867 der Geburtstag des Nord- 
deutschen Bundes, und der Inbegriff jener 22 Publikationspatente ist die bundesgründende 
Tat (irrig die Auffassung von Haenel, Staatsr. 1 14 ff., welche — widerlegt bei Meyer- 
Anschütz S. 163, 164 — die Konstituierung des Bundes erst in dem Publikandum des Bundes- 
präsidiums vom 26. Juli 1867, einer für das Verständnis der Gründungsvorgänge durchaus 
unwesentlichen Proklamation, finden will). Es war eine staatsgründende und ver- 
fassunggebende Tat: die Entstehung des neuen Staatswesens und die Emanation seiner 
Verfassung ist die Rechtsfolge eines und desselben Aktes; eine Trennung des einen Vorganges 
von dem andern ist nicht sowohl undurchführbar, als sie den leitenden Gedanken des Gründungs- 
werkes widersprechen würde. Uno actu wurde der Norddeutsche Bund gegründet und 
seine Verfassung in Kraft gesetzt (unrichtig die Ansicht Zorns, Reichsstaatsr. 1 32 ff., der- 
zufolge die Staatsgewalt des Bundcs zunächst als absolute, unorganisierte Macht ins Leben 
getreten sei und sich hiemächst selbst durch Erlaß der Bundesverfassung konstitutionell beschränkt 
habe; anders und richtig Laband, Staatsr. 1 34). Die Sachlage ist hiemach allerdings die, 
daß der Norddeutsche Bund seine Verfassung mit auf die Welt gebracht hat. Die Bundes- 
gründer, die deutschen Partikularstaaten, wollten eben nicht eine beliebige, noch eine ver- 
fassungslose, sonderm gerade die durch die zwischen ihnen und dem Reichstage vereinbarte Ver- 
fassung definierte Bundesgewalt schaffen: so haben sie diese Verfassung dem von ihnen ge- 
schaffenen Bundesstaate mit auf den Lebensweg gegeben. Dieser Lebensweg begann am 1. Juli 
1867. Von diesem Tage datiert das Dasein des Norddeutschen Bundes; mit diesem Tage erlosch 
zugleich die vertragsmäßige Grundlage des Bundes, das Augustbündnis. Der Zweck dieses 
Vertrages war erreicht, der Vertrag erfüllt; er endigte damit. Die Bundesverfassung, bis dahin 
ein Stück des Bündnisses, also Vertragsbestandteil, änderte ihren Charakter: sie war nun nicht 
mehr übereinstimmender Wille der einzelnen den Bund gründenden Staaten, sondem Wille 
des Bundes als eines neuen Rechtssubjekts. Sie wurde aus einem Vertrage Gesetz, 
und zwar nicht übereinstimmendes Landesgesetz, sondem Bundesgesetz. Und zwar war 
und wurde sie nur Bundesgesetz, nicht Vertrag und Gesetz zugleich. Die vertragsmäßigen 
Grundlagen des Bundes erloschen, indem der Bund ins Leben trat: dieser Bund, der nicht so- 
wohl ein Bund als ein Staat war, verzehrte das Vertragsband, welches ihn vorbereitet und 
lediglich zu dem Zwecke dieser Vorbereitung die Einzelstaaten umschlungen hatte. Wenn es 
in der Einleitung zu der Norddeutschen Bundesverfassung (analog wie in der der jetzigen Reichs- 
verfassung; vgl. unten S. 65) heißt: „Se. Majestät der König von Preußen, Se. Mojestät der 
König von Sachsen .. schließen einen ewigen Bund“, so erzählen diese Worte lediglich den 
Hergang der Bundesgründungz sie berichten zutreffend, daß der Bund durch übereinstimmende 
Willenserklärung der Regierungen der 22 Staaten geschaffen worden ist. Mehr aber und etwas 
anderes als ein Bericht ist diese „Präambel“ nicht; sie hat keine dispositive, sondem lediglich 
enuntiative Bedeutung. Mit ihr kann nicht bewiesen werden, daß die Verfassung „in der Form 
eines Vertrages auftrete“ (irrige Ansicht von G. Meyer, vgl. dagegen Rehm, Allgem. 
Staatsr. S. 136 und unten §5 10 S. 65). 
Die rechtliche Natur der bundesgründenden Tat ist nicht die eines völkerrechtlichen Ver- 
trages. Ein solcher Vertrag war das Augustbündnis, dessen Erfüllung jene Tat darstellt: 
in ihm verpflichteten die 22 Staaten sich gegenseitig zur Vornahme einer Rechtshandlung, zur 
  
1 Worte Miquels im konstituierenden Reichstage, 19. März 1867 (Sten. Berichte 
S. 242).
	        
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