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der Gedanke, wenn auch in diesem Zusammenhange unerörtert, so doch stets gegenwärtig, daß
nach Maßgabe des positiven Rechts einzelne dieser Mitgliedschaftsrechte auch Nicht mitgliedern,
Staatsfremden, zustehen können, wie denn insbesondere dem landesfremden Deutschen in dem
Aufenthaltsstaate, dessen Mitglied er nicht ist, durch Art. 3 RV. ein sehr großer Teil der Mit-
gliedschaftsrechte beigelegt ist (s. oben S. 82 ff.).
Die subjektiven öffentlichen Rechte der Staatsangehörigen zeigen den Staat im Zustande
rechtlicher Gebundenheit gegenüber den von ihm Beherrschten. Es ist deutlich, daß der Staat
hier nur in denjenigen Seiten und Eigenschaften seiner Persönlichkeit in Betracht kommen
kann, welche überhaupt rechtlich bindbar und gebunden sind: nur als „vollziehende Gewalt“
im weiteren Sinne, als Justiz und besonders als Verwaltung, kann die Staatsgewalt dem
Untertanen gegenüber Pflichtsubjekt, kann sie Adressat öffentlichrechtlicher Individualansprüche
sein, nicht dagegen in jener Eigenschaft, vermöge deren sie Herrin des Rechts und aller Rechte
ist: als gesetzgebende Gewalt. Rechte des einzelnen gegen den Gesetzgeber, sei es auf Vor-
nahme, sei es auf Unterlassung oder Zurücknahme eines gesetzgeberischen Aktes, sind unmöglich
und undenkbar. Eine Vorschrift wie etwa Art. 101 Abs. 2 der preußischen Verfassungsurkunde:
„die bestehende Steuergesetzgebung wird einer Revision unterworfen und dabei jede Bevor-
zugung abgeschafft“, ist eine Aufgabe, welche die Legislative sich selbst stellt, ein guter Vorsatz
des Gesetzgebers, nicht aber ein Schuldschein, aus dem der Steuerzahler den Gesetzgeber auf
die verheißene „Revision“ verklagen kann. —
Was nun die Arten der subjektiven öffentlichen Rechte der Staatsangehörigen betrifft,
so stellt die bisher am meisten übliche Einleitung zwei solcher Arten oder Kategorien auf:
bürgerliche Rechte (französisch droits civils) und staatsbürgerliche oder poli-
tische Rechte (droits politiques). Diese Gegenüberstellung sondert aus dem Gesamt-
bestande der öffentlichen Rechte diejenigen aus, welche auf Beteiligung des einzelnen an der
Bildung des Staatswillens zielen: das sind die staatsbürgerlichen (politischen) Rechte; alle
andern bilden die Kategorie der „bürgerlichen“ Rechte (ein Ausdruck mit ziemlich schwankender
Bedeutung, soferm unter „bürgerlichen Rechten“ bisweilen auch noch die Privatrechte
mitgemeint sind (so insbesondere Art. 3 RV.; s. oben S. 831, während manche Schriftsteller
— angegeben bei Jellinek, System S. 134 Anm. 1 — die Bezeichnung in einem viel
engeren Sinne, nämlich nur für die Individualansprüche auf positive Leistungen
des Staates, anwenden wollen).
1. Die staatsbürgerlichen oder politischen Rechte. Ihr Wesen
zeigt eine Rechtsfigur, welche dem oben S. 75 erörterten aktiven Mitgliedschaftsrecht des
Einzelstaates im Reich vollkommen analog ist. Hier wie dort ist das kennzeichnende Moment
die Beteiligung des Verbandsmitgliedes an der Bildung des Verbandswillens, und zeigt sich
im übrigen der Mitgliederbestand des Einzelstaates als eine homogene Masse (nur Individuen,
„Staatsangehörige“ im engeren Sinne), während der des Reiches eine Zweiteilung aufweist:
Mitglieder des Reiches sind einerseits die Staaten, anderseits die reichsangehörigen Individuen
(Haenel, Staatsr. 1 805. AM. Laband 1 97). — Die Gesamtheit der staatsbürgerlichen
Rechte, so wie die letzteren hier verstanden sind, stimmt mit dem überein, was bei Jellinek
(System S. 87, 136 ff.) „aktiver Status“ heißt. Die staatsbürgerlichen oder politischen Rechte
sind die aktiven Mitgliedschaftsrechte der Staatsangehörigen im Staat. In ihren Bereich
fallen nicht nur diejenigen Rechte, an welche man bei Nennung des Namens „politische Rechte“
stets zunächst zu denken pflegt: die durch die konstitutionelle Verfassung und die neueren Ge-
meindeordnungen eingeführten staatlichen und kommunalen Stimm= und Wahlrechte. Es ge-
hört hierher vor allem auch das Anrecht des Monarchen auf die „Krone“, auf seine staats-
oberhauptliche Würde und Stellung, wie überhaupt jedes subjektive Recht eines Individuums
auf eine öffentliche Organschaft. Mit Recht wird bei Jellinek, System S. 147 ff., die Be-
sprechung der einzelnen „aktiven Qualifikationen“ (der politischen Rechte) mit dem Monarchen--
recht eröffnet. Siehe über dasselbe unten § 26; über Wahlrecht und Wählbarkeit nach Reichs-
und Landesstaatsrecht die Lehre vom Reichstag und Landtag (§§ 22 und 32).
2. Das weite Gebiet der bürgerlichen Rechte gliedert sich in zwei Gruppen,
von denen die eine wie die andere gleichfalls ihre Analogie im System der Staatenrechte (vgl.