Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

102 Berthold Freudenthal. 
hie und da im gleichen Staate bei der einen Verwaltung anders als bei der anderen. Vor 
allem aber urteilen über seine Wirkungen Beamte vielfach anders als Gefangene. So heißt 
es denn, sich, soweit irgend tunlich, von allen Seiten her unterrichten. 
Reiches und vielfach ungehobenes Material hierfür ist in den Jahresberichten der be- 
teiligten preußischen Ministerien enthalten; dabei sei auf Vorbemerkung und Text zur 
Statistik der zum Ressort des Königlich Preußischen Ministeriums 
des Innern gehörenden Strafanstalten und Gefängnisse besonders 
hingewiesen. 
Von grundlegender Bedeutung ist eigene Anschauung. Kein Zufall ist es, daß 
zum Reformator des Gefängniswesens einst (s. oben S. 87) John Howard geworden ist, 
dem es durch Leiden in der Gefangenschaft am eigenen Leibe bekannt geworden war. Nur 
verhältnismäßig wenigen wird es vergönnt sein, sich zu Studienzwecken einmal längere Zeit 
in einer Anstalt aufzuhalten. Viele dagegen werden in der Lage sein, von Zeit zu Zeit An- 
stalten zu besichtigen. Manche Streitfrage, über die eine theoretische Einigung der Strafrechts- 
schulen unerreichbar scheint, löst sich von selbst auf der Grundlage der Kenntnis des wirklichen 
Vollzuges und auf der Grundlage der Auffassungen der Beteiligten. Zu diesen gehören in 
erster Linie die Gefangenen. Ihr Urteil über die Wirkungen des Vollzuges bedarf dringend 
der Beachtung. So wenig sie geeignet sind, Fragen zu begutachten, in denen sie parteiisch sind, 
oder in denen andere Gründe ihre Urteilsfähigkeit zweifelhaft machen (man denke etwa an die 
Frage ihrer Schuld oder Unschuld, der Höhe ihres Strafmaßes usw.), so bedeutungsvoll ist ihre 
Auffassung etwa in der vielumstrittenen Frage, wie Einzel- und Gemeinschaftshaft auf den 
Gefangenen wirkt, welche von beiden Haftsormen härter ist, welche Wirkung Dunkelarrest, 
körperliche Züchtigung, Arbeitsentziehung, Außenarbeit usw. haben. 
Für solche Informationen sind Selbstberichte von Gefangenen und ihre Briefe an die 
Verwaltung, wie in geeigneter Form und im rechten Zeitpunkt unter ihnen abgehaltene Um- 
fragen keineswegs ohne Wert. So dringend im einzelnen strenge Prüfung und Vorsicht in 
der Verwertung am Platz ist, so unrichtig würde es sein, Büchern wie Jaeger, Hinter 
Kerkermauern (1906) oder dem bedeutsamen Bericht eines Unonymus, Hinter Schloß und 
Riegel (1909) u. a. etwa als bloßen Parteidarstellungen jeden Informationswert abzusprechen. 
Schließlich ist es geboten, ausländische Einrichtungen zum Vergleiche mit 
den unfrigen heranzuziehen. Hier kommt einerseits Rechtsvergleichung in Betracht, wie sie, 
auf die wahrhaft großzügige Anregung des Reichsjustizamtes, die „Vergleichende Dar- 
stellung Deutschen und ausländischen Strafrechtes“ in umfassendem Maße angestellt hat, ander- 
seits auch hier wieder Besichtigung fremder Anstalten bei Auslandsreisen. 
Die Geschichte des Gefängnisrechtes hat uns die Tatsache gelehrt, die wir nie vergessen. 
sollten, daß praktische Anregungen zu größeren Gefängnisreformen zu anderen, wie zu uns 
zumeist vom Auslande her gekommen sind, und daß hier das amerikanisch-englische 
Ausland seit mehr als einem Jahrhundert am produktiosten gewesen ist. Allerdings ist, wie die 
Berücksichtigung ausländischer Einflüsse, so der klare Blick für die Errungenschaften 
unseres eigenen Landes, die Festhaltung deutscher Grundlagen 
und der organische Aufbau auf ihnen Pflicht. 
b) Rechtsguellen. 
Die für den deutschen Vollzug der Freiheitsstrafen maßgebenden Bestimmungen sind, 
mit geringen uns bekannten Ausnahmen, in den auf freier Vereinbarung der verbündeten Re- 
gierungen beruhenden „Grundsätzen“ des Bundesrates von 1897 und in Verwaltungsverord- 
nungen der Einzelstaaten enthalten. 
Nun waren, nach dem Scheitern des 1879er Entwurfes eines Reichsgesetzes über den Vollzug 
der Freiheitsstrafen, jene „Grundsätze“ freilich erfreulich, und noch jetzt sind sie nützlich. Sie 
tragen aber erhebliche Mängel an sich. Gewiß ist es staatsrechtlich nicht haltbar, ihnen jede 
„verbindliche Kraft“ abzusprechen ½ und sie als bloße „unverbindliche Aufforderung des Bundes- 
1 Kriegsmann, Gefängniskunde S. 140. Treffend v. Jagemann, Z. 34, 329 
A. I., sowie Dambitsch, Verf. d. Deutsch. Reichs, 1910 S. 100.
	        
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