Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Gefängnisrecht und Recht der Fürsorgeerziehung. 103 
rats an die einzelnen Regierungen anzusehen". Vielmehr haben sich die Regierungen in ihnen 
verpflichtet, sie bei sich zur Geltung zu bringen, wie das in den einzelstaatlichen Gefängnis- 
ordnungen denn auch geschehen ist. Aber freilich sind sie, eben als Vereinbarungen der Re- 
gieungen, keine Rechtsnormen. Man war sich auch bei ihrem Erlasse völlig klar, 
deshalb gewisse Gegenstände in ihnen nicht regeln zu dürfen; das ergibt die oben mitgeteilte 
Aktennotiz (S. 92), die mit der von uns vertretenen staatsrechtlichen Auffassung völlig überein- 
stimmt. So sind sie aber, wie korrekt dies auch rechtlich war, im Ergebnisse lückenhaft geworden. 
Es hängt hiermit zusammen, daß sie vorsichtig, ja ängstlich gefaßt sind. Vielfach sehen sie nämlich 
in erster Linie eine durchaus erwünschte Regelung vor. Zugleich aber schaffen sie selbst die Möglich- 
keit ihrer Durchbrechung durch ein einschränkendes „im allgemeinen“, „in der Regel“, „wenn 
tunlich“ usw. Auch daraus darf ihnen kein Vorwurf gemacht werden. Von anderem abgesehen, 
gebot der damalige Zustand des deutschen Gefängniswesens in zahlreichen Einzelstaaten solche 
Vorsicht. Jetzt aber sind mit besseren Zuständen auch bessere Regelungen möglich und 
darum notwendig geworden. 
Auch die Verordnungen der Einzelstaaten, die zum Teil auf diesen Grundsätzen beruhen, 
enthalten nicht Rechtssätze, sondern Verwaltungsbestimmungen. Gleichwohl be- 
schäftigen sie sich auch mit Eingriffen in die Rechtssphäre der einzelnen, bei denen nach konsti- 
tutionellem Staatsrechte (s. oben S. 79) die Gesetzgebung zustän dig gewesen wärei. 
Man kann nicht zugeben, daß die Einzelstaaten hier den Weg der Gesetzgebung oder den der 
Verwaltungsverordnung „völlig souverän“ wählen konnten 2. Sie mußten vielmehr den des 
Gesetzes oder der gesetzlich delegierten sogenannten Rechtsverordnung gehen. Nicht etwa bloß 
aus Zweckmäßigkeitserwägungen, weil die fraglichen Eingriffe „so wichtig“ sind, oder weil sonst 
„eine Anomalie“ vorläge (Kriegsmann S. 142 f.), sondem (s. oben S. 80) aus staatsrechtlichen 
Gründen. Auch aus dem,„ besonderen Gewaltsverhältnisse“ des Gefangenen? können 
für ihn keine Pflichten, die über die gesetzmäßig auferlegten hinausgehen, folgen. Denn dies 
„Gewaltverhältnis“ kann rechtswirksam begründete Zuständigkeiten wohl sprachlich zusammen- 
fassen; aber es ist nicht Rechtsquelle, die neue Pflichten schaffen kann. Die Folge wäre 
sonst widerspruchslose Unterwerfung des Gefangenen unter das freie Ermessen der Verwaltungs- 
behörde. Hier sind von der Reform des Vollzuges Rechtssätze an Stelle von Verwaltungs- 
sätzen zu fordern. « 
Ob diese Rechtsnormen in einem besonderen Strafvollzugsgesetze des Reiches oder in den 
hierher gehörenden Paragraphen des allgemeinen künftigen Strafgesetzbuches enthalten sein sollen, 
wäre dem gegenüber an sich von geringerer Bedeutung, wenn sie nur Reichsrecht, also 
für Deutschland einheitlich sind. Im ganzen wird man aber doch sagen müssen, daß im Straf- 
gesetzbuch am besten nur die Eigenart der einzelnen Strafarten, alles übrige dagegen in einem 
Strafvollzugsgesetze festzusetzen wäre. Soweit es sich freilich um bloße Einzelheiten oder lokale 
Verschiedenheiten handelt, werden diese vom Gesetze durch ausdrückliche Bestimmung dem Wege 
der Verordnung zu überweisen sein. Für Details sind Reichsgesetze zuschweres 
Geschütz. Auch diese Rechtsverordnungen sollten, soweit irgend tunlich, solche des Reiches 
sein und an die Einzelstaaten nur da abgestoßen werden, wo die Lage des Falles freies Ermessen 
der Regierungen oder Direktionen in den Partikularstaaten erwünscht scheinen läßt. Die Ge- 
währung freien Spielraumes ist gerade auf unserm Gebiete des Strafvollzuges dringend not- 
wendig. Sache des Reichsgesetzgebers ist es, die Mitte zwischen Freiheit und Bindung zu finden. 
Wo es sich nicht um Beschränkungen der Individualrechtssphäre handelt, sondern um 
bloße Vorschriften an die Verwaltungsbehörden, da bedarf es aus staatsrechtlichen 
Gründen keiner gesetzlichen Regelung. Ob solche aus anderen Gründen erwünscht ist, muß der 
Würdigung des Einzelfalles überlassen bleiben. Ebenso, inwieweit Reichs= und einzelstaatliche 
Verwaltungsbestimmung, inwieweit Einheitlichkeit oder Freiheit der Gestaltung am Platz ist. 
1 Übereinstimmend Klein in Aschaffenb. Mon. f. Krim-Psych. 6, 132 ff. 
*„ Kriegsmann, S. 139, zu Unrecht unter Berufung auf Ruck. Völlig im Sinne 
des Textes, als wertvolle Bestätigung der staatsrechtlichen Gesamtauffassung, der Ber. des 
Bdesrats--Aussch. f. Justizwesen Nr. 95 f. 1897 S. 1 f. und 10 (s. auch oben S. 92)9. 
Kriegsmann verkennt auf S. 162 das Wesen der Verwaltungsverordnung. 
* Fleiner, Inst. d. Verwaltungsrechtes S. 149 ff.
	        
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