108 Berthold Freudenthal.
gehalten werden. Aus der unbestimmten wird die — übrigens von uns stets allein in Erwägung
gezogene — relativ bestimmte Verurteilung.
Erwägenswert ist, ob eine Ausdehnung des auf Besserung gerichteten Vollzuges, über
die eigentlichen Jugendlichen hinaus, auf die 18—21 jährigen erwünscht wäre. Der Gegen-
entwurf hat dies bejaht (5 52); es wäre bedauerlich, wenn seine Anregung verloren ginge 1.
Gerade für sie ist ja auch das Jugendgefängnis in Wittlich bestimmt (s. oben S. 94).
Ob die vorläufige Entlassung bei relativ bestimmter Verurteilung einem alle Garantien
richterlicher Unabhängigkeit bietenden Entlassungsamte (von Liszt) — mit einem hohen richter-
lichen Beamten als Vorsitzendem und mit genügender sonstiger Vertretung des richterlichen.
Elements, sowie daneben mit schöffenartigen Laien — zu übertragen ist oder nicht noch besser
dem erkennenden Gerichte selbst (van Hamel), mag hier offen bleiben. Jene
Laien würden das Vertrauen der Allgemeinheit in die Tätigkeit des Entlassungsamtes zweifel-
los erhöhen, und von „Verwaltungssustiz“ der Entlassungsinstanz würde in beiden Fällen keine
Rede sein können. Größere Offentlichkeit durch leichtere Zugänglichkeit der Anstalten für Be-
sucher, wie sie in Amerika und England besteht, unmittelbare Käuflichkeit der Anstaltsberichte
im Buchhandel, wie sie schon Wichern vorgeschlagen hat, würden neben der Laien-
zuziehung segensreich wirken. Großen Vertrauens aber bedarf der Strafvollzug der Zukunft
um so mehr, je reicher man ihn wird ausstatten müssen. Die Gesamtaufgabe der Reform
liegt in dieser Richtung: Der Gefangene muß kraft Gesetzes im Straf-
vollzuge mehr als bisher zu hoffen und zu fürchten haben:?.
Hängt aber das Schicksal des Gefangenen vom Fortschritte seiner Umbildung ab, so wird
die Stellung der Anstaltsverwaltung ihm gegenüber, eben weil er mehr als im heutigen Voll-
zuge zu hoffen wie zu fürchten hätte, bei unbestimmter oder — wie gesagt, von jeher
allein in Betracht kommender — relativ bestimmter Verurteilung machtvoller
und aussichtsreicher als bisher.
Daß diese Urteilssorm dem älteren deutschen Rechte bekannt war, ist oben (S. H9) be-
rührt. Sie hat ja auch unter deutschen Einflüssen erst den Weg nach Amerika gefunden.
Für sie in ihrem Kere, wenn auch sonst mannigfach voneinander abweichend, haben sich in
Deutschland zu den alten gewichtige neue Stimmen erhoben, nicht nur von Theoretikem wie
Graf Gleispach, Kriegsmann, M. E. Mayer, Mittermaier u. a., von
Richtern wie Hamm, von Jugendrichtenn wie Allmenroeder und Koehne, sondem
auch von Praktikern des Strafvollzuges wie von Baehr und Stammer, sowie von der
höchsten gemeinsamen Instanz der Kulturstaaten in Gefängnissachen, dem Internationalen
Gef.-Kongreß, der 1911 in Washington die unbestimmte Verurteilung proklamiert hat.
Auch E. von Jagemanns „Urteile in Strafzeitstufen“ (Z. 34, 351) sind nichts als
relativ bestimmte Verurteilung.
Dabei kann, gegenüber den vom Standpunkte der Vergeltung erhobenen Bedenken,
die Ausgestaltung zur reinen Erziehungsmaßregel vorbehalten bleiben; diese würde
sich an eine vom Richter in der Hauptverhandlung verhängte zeitlich begrenzte Strafe anschließen.
Nach einem Worte Fingerss hat die Freiheitsstrafe „den Zenith ihrer Bedeutung“
überschritten. Das ist insofern richtig, als man nach üblen, mit ihr gemachten Erfahrungen,
eine Reihe von Maßnahmen gesucht und gefunden hat, durch die man sie unnötig machen
will. Dahin gehört die bedingte Strafaussetzung oder ihre höhere Form, die bedingte
Verurteilung, fermer die Schutzaufsicht, die Ausgestaltung der Geldstrafe usw. Sie alle sind,
weil sie minder tief eingreifen als die Freiheitsstrafe, erfreulich und zu empfehlen.
Ein Gesamturteil über die Zukunft der Freiheitsstrafe aber ist zurzeit doch noch kaum
möglich. Viel dürfte davon abhängen, wie sich das Progressivsystem für lange Freiheitsstrafen
und das Reformsystem für jüngere Gefangene bei uns bewähren wird. Auch die Möglichkeit
1 Trefflich der Komm.-E. (1913) in 2. Les. nach Ebermayer DZgz. 18, 608.
* Näheres in DJZ. 18, 135 ff.
* Finger, Lehrb. d. D. Strafr. Bd. 1 1904 S. 459.