10 F. Wachenfeld.
und Teilnahme wird man aber der Landesgesetzgebung Freiheit der Regelung dann zubilligen
müssen, wenn man in ihnen bloße Erscheinungsformen des Deliktes sieht.
Die Bestimmungen, welche Reichs- und Landesgesetzgebung außerhalb der vom Reichs-
strafgesetzbuche geregelten Materien geben, bezeichnet man als besondere Vorschriften. Um
Zweifel abzuschneiden, hat das Strafgesetzbuch eine Reihe solcher Vorschriften ausdrücklich auf-
gezählt (5 2 Abs. 2 ESt GB.), unter ihnen z. B. den Forstdiebstahl. Demgemäß kann nur der-
jenige an Forsterzeugnissen verübte Diebstahl nach dem Reichsstrafgesetzbuche geahndet werden,
über den das Landesrecht eme Bestimmung zu geben unterlassen hat. Insofern hat also das
Reichsstrafgesetzbuch nur subsidiäre Bedeutung. Aber diese reicht nicht so weit, daß die Landes-
gesetzgebung schlechthin bestimmen könnte, was als Forstdiebstahl in Betracht kommen soll. Die
Grenze hierfür ist nach Reichsrecht zu ziehen.
Auf dem ihr überlassenen Gebiet hat die Landesgesetzgebung freie Hand, darf aber doch
nicht beliebige Strafen androhen oder erkennen. Sie ist hinsichtlich der Art und des Maßes
gebunden. Forst- und Gemeindearbeit ausgenommen, ist sie auf die leichteren Strafarten des
Reichsstrafgesetzbuches beschränkt (§s 5, 6 EStGGB.).
Dieselben Grenzen wie dem Landesrecht hat das Reichsstrafgesetzbuch den früheren Reichs-
gesetzen gegenüber gezogen (§ 2 ESt GB.), so daß innerhalb der von ihm geregelten Materie
nicht nur entgegenstehende, sondem auch ergänzende Reichsgesetze aufgehoben sind. Für das
spätere Reichsrecht konnte natürlich keine Norm aufgestellt werden; denn lex posterior derogat
ptiori.
II. Persönliches Herrschaftsgebiet. Die Strafgesetze erstrecken sich auf
alle im Reich sich aufhaltenden Personen. Grundsänlich ist niemand um seiner Person willen
von der Herrschaft der Strafgesetze befreit, weder die höchsten Staatsbeamten noch die An-
gehörigen der landesherrlichen Familien, selbst nicht der Thronfolger. Aber doch sind einzelne
ausgenommen:
1. aus staatsrechtlichen Gründen das Staatsoberhaupt: der Kaiser, der Landesherr und
der Regent. Eine Exemtion genießen hinsichtlich ihrer berufsmäßigen Außerungen die Mit-
glieder des Reichstags (Art. 30 RV.) und der Kammerm der Einzelstaaten, auch des Land-
tags für Elsaß-Lothringen (S 11 StGB., Art. 1 E.G. f. Els.-Lothr.). Dieses dem kon-
stitutionellen Frankreich entlehnte Privilegium gibt den Volksvertretern auf beschränktem
Gebiet eine Art Unverletzlichkeit;
2. aus völkerrechtlichen Gründen die sog. Exterritorialen, wie fremde Souveräne mit
Familie und Gefolge und die beim Reich beglaubigten Gesandten samt ihrem Personal. Die
bei einem Einzelstaat beglaubigten Gesandten sind nur von den Gesetzen dieses Staates befreit.
Die um der Person willen gewährte Exemtion hebt nicht die Existenz des Verbrechens
aus, sondern schafft lediglich einen persönlichen Strafausschließungsgrund, so daß die Befreiung
anderen, an der Tat beteiligten Personen nicht zugute kommt.
III. Zeitliches Herrschaftsgebiet. Den Beginn der zeitlichen Herrschaft
eines Strafgesetzes pflegt der Gesetzgeber ausdrücklich zu bestimmen. Ist dies nicht geschehen,
so tritt das Gesetz 14 Tage nach Publikation im Reichsgesetzblatt in Kraft (Art. 2 RV.). Die
Herrschaft des Gesetzes endet, abgesehen von den wenigen Fällen, in denen dasselbe für eine
von vornherein festgesetzte Zeit gegeben ist, wie es z. B. bei dem Sozialistengesetz der Fall war,
mit der ausdrücklichen oder stillschweigenden Aufhebung durch ein anderes Gesetz.
Kommt eine unter der Herrsschaft des alten Gesetzes begangene Tat erst zur Zeit des neuen
Gesetzes zur Aburteilung, so entsteht die Frage, welches von beiden Gesetzen zur Anwendung
kommen soll. Man wird sie verschieden beantworten, je nachdem man das Strafgesetz auffaßt
als eine Anweisung an den Richter, eine Strafe zu verhängen, oder als eine Erklärung an den
Delinquenten, welche ihm die Folge einer Handlung bekannt gibt. Nach der letzteren und
richtigeren Anschauung würde das Gesetz aus der Zeit der Begehung des Delikts anzuwenden
sein. Aber man muß eine Ausnahme machen, wenn das neue Gesetz milder ist. Denn es wäre
unbillig, die härtere Strafe in einer Zeit zu verhängen, in der man bereits über das Delikt
milder denkt. Das positive Recht hat dem Rechnung getragen und läßt sogar dasjenige Gesetz
zwischen Vergangenheit und Aburteilung zur Anwendung kommen, welches das mildeste ist