124 Ernst Beling.
8 3. Die Rechtsquellen, das Maß ihrer Geltung und ihre Auslegung.
Literatur: Triepel, Bölkerrecht und Landesrecht (1899); Posener, Das deutsche
Reichsrecht im Verhältnis zum Landesrecht (1900); Arndt in der Zeitschr. f. Strh W. Bd. XXII,
S. 371; Anschütz, ebenda S. 499.
I. Die Quellen des deutschen Strafprozeßrechts sind keine anderen als die des deutschen
Rechts überhaupt. Das will sagen:
1. Deutsches Strafprozeßrecht ist nur dasienige, das von einheimischen rechtbildenden
Faktoren herstammt. Das Völkerrecht als solches bleibt ebenso wie alles ausländische Straf-
prozeßrecht außer Betracht (vgl. unten § 4 II); Staatsverträge sind Quelle deutschen Straf-
prozeßrechts nur insoweit, als sie durch Publilation nach innen gesetzesgleiche Bedeutung ge-
wonnen haben (oder insoweit sie etwa durch deutsche gewohnheitsrechtliche Ubung — nach
stehend 2 — rezipiert sein sollten).
2. Gewohnheitsrecht ist, wiewohl man dies bestritten hat, von gleicher rechtbildender
Kraft wie Gesetzesrecht. Bestand doch das gemeine Strafprozeßrecht in weitem Umfang aus
Sätzen, die der usus fori geschaffen hatte, und gibt es doch auch heute noch Staatswesen ohne
Strasprozeßgesetz (z. B. Kanton Uri). Auch findet sich nirgends im deutschen Recht ein Satz,
der strafprozessualem Gewohnheitsrecht die Geltung abspräche. Derzeit wird allerdings ein
solches kaum nachweisbar sein; es könnte sich aber recht wohl praeter legem bilden, z. B. in An-
sehung der Vergleiche im Privatklageverfahren, in Ansehung der Strafvollstreckung usw.
3. Die eigenartige staatsrechtliche Gestaltung Deutschlands (Nebeneinanderbestehen des
Deutschen Reichs und der deutschen Gliedstaaten) bedingt eine Duplizität des deutschen Straf-
prozeßrechts wie des deutschen Rechts überhaupt. Es gibt Reichs- und Landesstrafprozeßrecht.
a) Das Schwergewicht liegt bei dem Reichsrecht. Den Kern des geltenden Reichs-
strafprozeßrechts stellen dar die Strafprozeßordnung (St PO.) vom 1. Februar 1877 nebst ihrem
Einführungsgesetz (Est PO) und das Gerichtsversassungsgeset (V) vom
nebst seinem Einführungsgesetz (E VG.). An diese Gesetze, die zusammen mit der Zivilprozeß-
ordnung und ihrem Einführungsgesetz die „Reichsjustizgrundgesetze“ bilden, gliedern sich als
weitere Justizgesetze besonders an: die Rechtsanwaltsordnung (Rä.) vom 1. Juli 1878, die
Gebührenordnung für Rechtsanwälte vom 7. Juli 18.9. das Gerichtskostengesetz (GKG.) vom
1#. Mai1s98
18. Juni 18F78.= !½# 30. Juli 1878.
1 Mai 18985 die Gebührenordnung für Zeugen und Sachverständige vom — 1
24. Juni 1878
die Gebührenordnung für Gerichtsvollzieher vom 29. Juni 1881; die Militärstrafgerichtsordnung
17. Mai 1898
(MStGSO.) vom 1. Dezember 1898 nebst Einführungesetz (E##4 GO.); das Gesetz über die
Konsulargerichtsbarkeit vom 7. April 1900; das Gesetz über die Rechtsverhältnisse in den Schutz-
25. Juli 1900
10. September "
Zuusammengestellt sind diese Gesetze in dem Werk von Kayser, Die gesamten Reichs-
justizgesetze und die sämtlichen für das Reich und in Preußen erlassenen Ausführungs= und Er-
gänzungsgesete Verordnungen, Erlasse und Verfügungen. S. auch Birkmeyer S. 45 ff.
— Textausgaben der StpO. mit Anmerkungen von: Olshausen (2. Aufl. 1905), Stau-
dinger (3. Aufl. 1911), Dalcke (12. Aufl. 1910), Lellmen-Sohlrausch (16. Aufl.
1912), Hoppe (1897), v. Aufseß (1901), Daude (8. Aufl. 1912), Siebdrat (1898) u. a.
— Tertausgabe des G#G. von Dörr (1910).
Ergänzend treten hinzu die strafprozessualen Bestimmungen in den im Reichsgesetzblatt
publizierten Staatsverträgen des Deutschen Reiches.
Verzeichnis dieser Berträge bei Löwe-Hellweg zu 5 21 GG.
Rechtssätze strafprozessualen Charakters finden sich außerdem aber auch in manchen anderen,
nicht zu den eigentlichen „Justizgesetzen“ gehörigen Reichsgesetzen verstreut; so im Strafgesetz-
gebieten vom