Strafprozeßrecht. 125
buch (z. B. ö#s 4, 61—65, 93, 140 Abs. 3, 164 Abs. 2, 186, 191, 188), in der Reichsverfassung
(Art. 31), im Preßgesetz (§8 23—29), im Postgesetz (§ 35) usw.
Diese Rechtssätze sind, auch insoweit sie älter sind als die St PO., neben letzterer in Geltung
(ogl. ESt PO. 5 5).
b) Das Reichsrecht beansprucht grundsätzliche Geltung für alle sich vor deutschen Gerichten
abspielenden Strafprozesse ohne Unterschied, ob das anzuwendende materielle Strafrecht Reichs-
oder Partikularrecht ist. Das Landesrecht kann nur in die vom Reichsrecht offengelassenen
Lücken eintreten. Dieser Lücken sind nicht wenige in Ansehung der Gerichtsver fassung.
Das GV. will nämlich keine „Kodifikation“ sein, sondern greift nur eine Reihe von besonders
bedeutsamen Punkten aus dem Gesetzgebungsstoff heraus; der unerwähnt gebliebene Rest ist
also der Kompetenz der Einzelstaaten verblieben. Anders steht es mit dem eigentlichen
Strafprozeß; die St PO. regelt ihn derart erschöpfend, daß jedes Schweigen als sog.
qualifiziertes Schweigen gedeutet werden muß, das Landesrecht also nur insoweit Raum findet,
als das Reichsrecht deutlich die Kompetenz des Landesrechts anerkennt, wie dies z. B. geschieht
in ESt PO. §§ 3, 4, 6, St PO. öK§ 39, 64, 73, 288, 420, 453, 459, 483.
Die Einzelstaaten haben meistens den ihnen überlassenen Gesetzgebungsstoff durch „Aus-
führungsgesetze“ (zum GVG., zur St PO.) geregelt; daneben sind je nach Bedürfnis noch
Spezialgesetze (z. B. über das Forst= und Feldrügeverfahren usw.) erlassen worden. Preußen
besitzt kein Ausführungsgesetz zur St PO.
Ungültig ist gemäß dem Grundsatz des Art. 2 RVerf., vgl. auch § 6 ESt PO., alles dem
Reichsrecht widerstreitende Landesrecht, es sei älter oder jünger als jenes (so z. B. Art. 9 des
hessischen AE# V G., insofern er die Mitglieder der standesherrlichen Familien von der ordent-
lichen Strafgerichtsbarkeit befreit).
Eine sehr eingehende Zusammenstellung landesrechtlichen Materials siehe bei Binding,
Grundriß # 15; für Prußen und Bayern auch bei Birkmeyer in dem Beiheft. Dazu Be-
ling, Württemb. Prozeßgesetzgebung (1903).
4. Weder für das Reichsrecht noch für das Landesrecht ist der „Verordnung“ der Charakter
einer Rechtsquelle abzusprechen. Das Gesetz im konstitutionellen Sinne läßt nicht nur still-
schweigend, sondern zum Teil ausdrücklich Materien in dem Sinne ungeregelt, daß hier die
Verordnungsgewalt eingreifen solle. So sind denn auch sowohl im Reich wie namentlich in
den Einzelstaaten zahlreiche Verordnungen erlassen worden. Sie haben zum Gegenstande z. B.
die Einrichtung von detachierten Strafkammern, Geschäftsanweisungen für Gerichtsschreibereien,
Strafregister, Amtstracht, Formulierung der Urteile usw. Inwieweit Regelung durch Ver-
ordnung zulässig, inwieweit umgekehrt Gesetzesform einzuholten ist, bestimmt sich nach Staatsrecht.
Bgl. das oben bei 3 angeführte Werk von Kayser.
II. Die Auslegung strafprozessualer Rechtsquellen kann füglich keine andere sein, als die
der Rechtssätze überhaupt. Das Objekt der Interpretation kann deren Methode nicht beein-
flussen. Deshalb ist namentlich die bisweilen vertretene Meinung zu verwerfen, als sei im.
Strafprozeßrecht die Analogie nicht oder nur in beschränktem Umfang zur Auslegung ver-
wertbar.
Mit der modernen Gesetzgebungstechnik hat auch die St PO. auf die Festhaltung von
termini technici Gewicht gelegt („Rechtsmittel“, „Angeschuldigter“", „Angeklagter“, „gericht-
liche Untersuchung", „muß“, „soll“ usw.), ohne daß freilich überall volle Konsequenz obwaltete.
§ 4. Das Herrschaftsgebiet der Strafprozeßrechtssätze.
I. Der Personenkreis, den das deutsche Strafprozeßrecht beherrscht, deckt sich
mit dem Kreise der Personen, die der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit unterfallen (darüber
unten 9 9 1); das will sagen: hinsichtlich der Personen, die überhaupt unter die deutsche ordent-
liche Gerichtsbarkeit fallen, ist auch die St PpO. anwendbar, und zwar wird grundsätzlich hin-
sichtlich der Prodezur kein Unterschied gemacht; es findet z. B. gegen den Inländer dasselbe
Verfahren statt wie gegen den Ausländer. Immerhin gibt es auch zahlreiche persönliche Eigen-
schaften und Umstände, die auf die Form der Prodezur Einfluß üben; so wird gegen den Jugend-
lichen und gegen den Abwesenden anders verfahren als gegen den Erwachsenen bzw. den An-