126 Ernst Beling, Strafprozeßrecht.
wesenden (vgl. z. B. StPO. 88 140, 318 ff.); es wird die Militärperson als Zeuge oder Sach-
verständiger anders als die Zivilperson behandelt (St PO. g8 48 Abs. 2, 50 Abs. 4, 69 Abs. 5, 72);
desgleichen genießen — wofern sie überhaupt der ordentlichen Gerichtsbarkeit nicht durch Haus-
verfassung oder Landesgesetz entzogen sind (unten § 9 1 a. E.) — die Landesherren und die
Mitglieder der landesherrlichen Familien, sowie der fürstlichen Familie Hohenzollern, der vor-
maligen Herrscherhäuser von Hannover, Kurhessen, Nassau und des herzoglich holsteinischen
Fürstenhauses eine Sonderbehandlung als Zeugen oder Sachverständige (StPO. ös 71, 72,
es. v. 25. März 1904).
II. Die gewöhnliche Lehre geht dahin, „das räumliche Herrschaftsgebiet des deutschen
Strafprozeßrechts sei das Deutsche Reich“; Strafprozeßrecht habe keine extraterritoriale Geltung.
Das würde bedeuten: alle auf dem Boden des Deutschen Reichs vorgenommenen Strafsjustiz-
akte und nur sie richteten sich nach dem deutschen Strafprozeßrecht (Ordo judicü regitur legibus
loci, ubi causa agitun). Diese Lehre hat eine scheinbare Stütze in dem völkerrecht-
lichen Satze, daß kein Staat im Gebiet anderer Staaten Staatshoheitsakte vornehmen darf;
und auf ihr ruht scheinbar auch § 1 ESt PO., wenn er die St PO. „im ganzen Umfang des
Deutschen Reichs“ in Kraft treten läßt. Jene Lehre ist gleichwohl falsch. Ein Strafprozeß
in den Formen des deutschen Rechts kann sich sehr wohl auch auf außerdeutschem Gebiet voll-
gültig abspielen. Das Feld der Tätigkeit deutscher Behörden ist zwar regelmäßig das Reichs-
gebiet. Aber deutsches Strafprozeßrecht kommt auch in fremden Staaten zur Anwendung.
So in allen den Staaten, in denen deutsche Konsulargerichtsbarkeit besteht; fermer können deutsche
Gerichte z. B. auch auf staatenlosem Gebiet tagen oder auf dem manu militari besetzten fremd-
staatlichen Gebiet, oder es kann möglicherweise ein fremder Staat im Falle einer öffentlichen
Kalamität, z. B. eines Erdbebens, seine Gerichtsräumlichkeiten den deutschen Behörden zur
vorübergehenden dienstlichen Tätigkeit zur Verfügung stellen; ja, schließlich wäre nicht undenk-
bar, daß das Reich völkerrechtswidrig seine Grenzen überschritte. In allen diesen Fällen wäre
das Ausland der Schauplatz deutscher Strafprozesse. Der Raum tut mithin garnichts
zur Sache. Es gibt keinen Raum, auf dem das deutsche Strafprozeßrecht nicht anwendbar
wäre; sein räumliches Herrschaftsgebiet ist schrankenlos. Worauf es ausschließlich ankommt,
das ist vielmehr die Zugehörigkeit des prozedierenden Organs zum Deutschen Reich oder einem
seiner Gliedstaaten. Die Regel ist also diei deutsche Strafjustizbehörden haben,
wo immer sie tätig werden, nach deutschem Strafprozeßrecht zu
verfahren (dies auch dann, wenn sie für einen ausländischen Prozeß Rechtshilfe leisten).
In Verbindung damit steht, daß Akte ausländischer Behörden völlig belanglos sind (auch wenn
sie etwa den Formen des deutschen Rechts entsprechen sollten); denn deutscher Strafprozeß
ist = durch deutsche Organe betätigter Strafprozeß. So kann niemals auf Anklage einer aus-
ländischen Staatsanwaltschaft hin ein Hauptverfahren bei uns eröffnet werden; das fremd-
ländische Strafurteil ist dem Grundsatz nach für uns kein „Urteil“ usw.
Etwas Abweichendes gilt nur für die Rechtshilfe; eine vom fremden Staate (in
den Formen seines Rechts) geleistete Rechtshilfe kann als ein Glied in die Kette eines deutschen
Strafprozesses eingefügt werden usw.
III. Anlangend das zeitliche Herrschaftsgebiet der Rechtsquellen, so sind das GG.
und die St PO. in Kraft seit dem 1. Oktober 1879 (EGVG. F 1, ESt PO. F 1). Mit diesem
Tage haben die älteren Gerichtseinrichtungen (Kreis-, Stadt-, Friedens-, Appellationsgerichte
usw.) zu bestehen aufgehört; alle damals anhängigen Prozesse gingen an die neuen Gerichte
über (EG VG. 5 14); und seit dem 1. Oktober 1879 werden nicht nur alle neubegonnenen Straf-
prozesse (ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt der Tat) nach der St PO. abgewandelt, sondern nach
letzterer haben sich auch die am 1. Oktober 1879 schon anhängig gewesenen Prozesse in ihrem
weiteren Verlaufe zu richten, ESt PO. §s 8, 10, 12 (eine Ausnahme, die heute kaum noch in
Betracht kommen wird und selbst wieder durch eine Unterausnahme (§F 9 ESt PO.] durchbrochen
wird, macht ESt PO. § 8 Abs. 2). Dagegen sind alle vor dem 1. Oktober 1879 vorgenommenen
Prozeßakte, wenn sie dem alten Recht entsprachen, gültig geblieben und vom neuen Recht nicht
berührt worden („Prozeßrecht hat keine rückwirkende Kraft“).
—Ô —