Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

Strafprozeßrecht. 131 
Diese prozessuale Unspaltbarkeit der Strafsache bewirkt, daß jede Prozeßerledigung die 
ganze Strafsache erledigt; es gibt kein Teilurteil im Strafprozeß und folgeweise auch kein 
Ergänzungsurteil; die prozeßerledigende Entscheidung läßt von der Strafsache nichts in lite; 
vergessene oder unbekannt gebliebene Partikelchen der Strafsache können nicht den Gegenstand 
eines neuen Prozesses ausmachen; sie bleiben fortan außerhalb jeder Aburteilungsmöglichkeit. 
(Die Praxis, namentlich des Reichsgerichts, nimmt das Gleiche sogar an für solche unabtrenn- 
bare Elemente der Strafsache, die das Gericht fehlerhafterweise vermittelst einer Art Vorbehalts- 
urteils absichtlich ausgeschieden hat.) Andererseits bezieht sich auch jeder voo#r der Prozeßerledigung 
vorgenommene Prozeßakt, auch wenn er seinem Wortlaut nach nur einen Teil ergreift, auf die 
Strafsache in ihrem vollen Umfange. Die Anklage wegen Körperverletzung kann die Eröffnung 
des Hauptverfahrens wegen Totschlags und die Verurteilung wegen Mordes zur Folge haben 
(immer vorausgesetzt, daß die Tat dieselbe ist); der Eröffnungsbeschluß, der eine Tat nur als 
einfaches Delikt ansah und die Gewerbsmäßigkeit ausdrücklich leugnete, schließt nicht aus, daß 
das Urteil Gewerbsmäßigkeit annimmt usw. 
Die unsichtbar gebliebenen Stücke und Teile der Strafsache verhalten sich also zu den 
sichtbar gewordenen wie der beschattete Teil des Mondes zur Mondsichel. So wenig die un- 
sichtbaren Partien der Mondoberfläche einen besonderen Himmelskörper darstellen, so wenig 
lassen sich die unsichtbaren Teile der Strafsache von dem übrigen losreißen. 
Jedoch ist die Unteilbarkeit der Strafsache nur die Regel. Letztere wird durch folgende 
Ausnahmen durchbrochen: 
1. In der Eigenschaft als Antragsdelikt darf eine Tat nur so weit, wie der Straf- 
antrag reicht, berücksichtigt werden. Fällt eine Tat z. B. unter die Ss# 268 und 263 Abf. 4 
StGBB. in idealer Konkurrenz, und ist seitens des betrogenen Angehörigen ein Strafantrag 
nicht gestellt, so kann die Betrugseigenschaft der Tat keine Berücksichtigung finden. Folge- 
weise ist bei nachträglicher Stellung des Antrags ein Separatprozeß unter dem Gesichtspunkt 
des Betrugs möglich, in dem natürlich den materiellstrafrechtlichen Sätzen über die Bestrafung 
der Idealkonkurrenz Rechnung getragen werden muß. 
2. Im Privatklageverfahren darf die Tat nur in ihrer Eigenschaft als privat- 
klagefähiges Delikt gewürdigt werden; stellen sich andere juristische Gesichtspunkte heraus, so 
muß das Verfahren eingestellt und das weitere dem anhängig zu machenden Staatsklage- 
verfahren überlassen werden (St PO. § 429). 
3. Einziehungund Unbrauchbarmachung können, soweit die Voraussetzungen 
des „objektiven Verfahrens" vorliegen, für sich allein den Gegenstand eines solchen Verfahrens 
bilden. 
4. Für die Abstimmung, die Majorität bei der Urteilsfällung und 
für das schwurgerichtliche Verfahren fallen die Schuldfrage und die Straf- 
frage auseinander. Unter der Schuld frage versteht das Gesetz (St P. § 262) die Frage, 
ob auf die Tat ein bestimmtes Strafgesetz mit allen allgemeinen und besonderen Merkmalen 
einer Straftat anwendbar ist, ob also ein bestimmter Strafanspruch begründet ist, jedoch unter 
Ausschluß der unbenannten Privilegierungsgründe (also besonders der mildernden Umstände), 
sowie des Rückfalls und der Verjährung. Straffrage ist demgemäß die Frage nach der zu 
verhängenden Strafgröße unter Hinzutritt der Fragen nach unbenannten Privilegierungs- 
gründen, Rückfall und Verjährung. 
5. Ganz besonders aber bedingt die Teilbarkeit der Rechtsmittel auch eine Teil- 
barkeit des Prozeßgegenstandes. In die höhere Instanz devolviert die Strafsache nur nach 
Maßgabe des Anfechtungswillens der Partei. Der unangefochten gebliebene Rest erwächst 
in Rechtskraft (objektiv beschränkte Rechtskraft); wird nur die Straffrageentscheidung oder nur 
die Eigenschaft der Tat als Betruges oder nur die Verhängung einer Nebenmaßregel ange- 
sochten, so hat sich die höhere Instanz in keiner Weise mit der Schuldfrage bzw. mit den außer 
dem Betrug möglichen anderweiten Qualifikationen der Tat bzw. mit der Strafe zu befassen. 
Nur muß es sich allemal um logisch abtrennbare Teile handeln. 
III. Ale Akte eines Strafprozesses müssen sich auf dieselbe Strafsache, eadcem 
res, beziehen. Das hier auftauchende Problem der Identität ist weiter von Wichtigkeit 
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