Strafprozeßrecht. 133
1. Die vor der Verbindung in der einen Sttafsache erfolgten Prozeßakte greifen auf die
andere Sache nicht hinüber; ist z. B. gegen den Beschuldigten nur in der einen Sache ein Haft-
befehl erlassen, so bleibt die Untersuchungshaft auch nach der Verbindung auf jene Sache be-
schränkt.
2. Die Verkettung der mehreren Sachen bedingt nicht eine gemeinsame Aburteilung;
wird die eine Sache spruchreif, bevor die anderen es sind, so sind sukzessive Urteile geboten.
3. Die Notwendigkeit der Verteidigung für die eine Strafsache zieht nicht Notwendigkeit
der Verteidigung für die verbundenen Sachen nach sich (abgesehen von dem Falle des 5 5 St PO.).
4. Gleichgültig ist, wiewohl dies vielfach bestritten wird, die Verbindung auch für das
Beweisrecht. Konn jemand in der Strafsache X als Zeuge vernommen werden, so kann er
dies auch dann, wenn er in einer mit X verbundenen Sache 7V Beschuldigter ist; auch für das
Zeugnisweigerungsrecht und die Verteidigung muß eine streng individualisierende Betrachtungs-
weise Platz greifen, d. h. das in der Strafsache X begründete Zeugnisweigerungsrecht entbindet
nicht von der Aussagepflicht in den verbundenen Sachen, und die Aussage eines Zeugen kann
möglicherweise zu der einen Strafsache eidlich, zu den übrigen uneidlich sein.
5. Die Abstimmung ist natürlich für die verschiedenen Sachen eine geteilte. Folgerichtig
muß auch die Fragestellung im Schwurgericht geteilt sein (S 292 Abs. 3 St PO.).
6. Rechtsmittel und andere Rechtsbehelfe ergreifen nur die Strafsache, in der sie ein-
gelegt sind, nicht die verbundenen Sachen.
7. Richterliche Handlungen, die sich auf die eine Strafsache beschränken, unterbrechen
die Verjährung auch nur hinsichtlich eben dieser Sache, nicht hinsichtlich der verbundenen Sachen.
8. Uberall da, wo das prozessuale Geschick einer Strafsache von der in concreto auszu-
werfenden Strafgröße abhängt, muß richtiger Ansicht nach jede Strafsache separat gewürdigt
werden; es kommt somit bei Realkonkurrenz nicht auf die Gesamtstrafe, sondern auf die Einzel-
strafen an. Sind zwei Strafsachen a und b jede einzeln an das Schöffengericht überweisbar,
indem die in ihnen zu erwartende Strafe das in § 75 GVG. in Verbindung mit § 27 2 daselbst
bezeichnete Maximum nicht übersteigt, so bleiben sie auch verbunden überweisbar, mag auch
die zu erwartende Gesamtstrafe jenes Maximum überschreiten. Ist in zwei Strafsachen Dispens
vom Erscheinen in der Hauptverhandlung nach § 232 St PO. zulässig, weil in jeder Einzelstraf-
sache höchstens sechs Wochen Freiheitsstrafe zu erwarten sind, so wird an der Dispensmöglich-
keit dadurch nichts geändert, daß die Gesamtstrafe voraussichtlich höher sein wird. Desgleichen
beziehen sich die einem Strafbefehl und einer Strafverfügung in Iös 447, 453 St PO. gezogenen
Grenzen der Strafhöhe nur auf die Einzelstrafsachen; die Verbindung mehrerer Strassachen
beeinträchtigt die Möglichkeit eines Strafbefehls oder einer Strafverfügung in keiner Weise,
mag auch die Gesamtstrafe höher als jene Grenzen sein.
Die gegenteilige Meinung legt nicht den gehörigen Nachdruck auf den Umstand, daß das
zufällige Verbundensein der Strafsachen grundsätzlich die Behandlung der Sache unberührt
lassen muß.
9. Wo der Wert des Verbrechensobjektes in Frage kommt, darf keine Zusammenaddierung
der Beträge erfolgen. (Eine dem § 5 B PO. entsprechende Bestimmung fehlt in der St PO.)
Zwei Diebstahlsprozesse über je 20 Mk. gehören auch verbunden vor die Schöffengerichte (§ 27“
GVG.).
10. Prozeßverstöße, die nur die eine Sache betreffen, lassen die andere unberührt.
11. Die Kosten des Verfahrens werden grundsätzlich nicht zu einer Einheit zusammen-
geworfen, sondern für jede Strafsache separat angesetzt (ogl. § 498 St PO.).
Indessen wird die Regel, daß eine Strassache in ihrer prozessualen Lage durch das Verbunden-
sein mit einer anderen Sache nicht berührt wird, durch etliche Ausnahmen durchbr ochen.
1. In einer Strassache, in der, wenn sie isoliert stände, das Hauptverfahren eröffnet werden
müßte, kann statt der Eröffnung vorläufige Einstellung des Verfahrens beschlossen werden, wenn
es sich um mehrere reell konkurrierende Taten handelt und die in den verbundenen Strafsachen
zu erwartende Strafe die Feststellung noch weiterer Straffälle als unwesentlich erscheinen läßt
(( 208 St PO.).