136 Ernst Beling.
II. Mit der Zivilgerichtsbarkeit teilt die ordentliche Strafgerichtsbarkeit die sog. gesetz-
lichen Garantien, die alle Willkür fermhalten und eine strenge Durchsetzung des Rechts
gewährleisten sollen:
1. Die Gerichte sind bei Ausübung der richterlichen Gewalt unabhängig, nur dem Gesetz
unterworfen, § 1 GVG. Sie sind somit an Weisungen höherer Organe in Ansehung des Inhalts
der Rechtsprechung nicht gebunden. Sie sind andererseits, weil dem Gesetz unterworfen, nicht
befugt, sich im Wege „freier Rechtsfindung“ von den im Gesetz enthaltenen Interessenwägungen
loszumachen, haben vielmehr diese Interessenwägungen für die Ausübung und besonders für
Analogieschlüsse zum Ausgangspunkt zu machen. (Nicht gehindert wird durch GVG. F 1 die
„Interessenjurisprudenz“, die jenseits der im Gesetz empirisch abgewogenen Interessenlagen
Rechtssätze dadurch gewinnt, daß sie Wertungen und Abwägungen im Sinne der Gesamtheit
vornimmt.)
2. Nur die im Gesetz vorgesehenen Gerichte sind zur Ausübung der Gerichtsbarkeit berufen.
Unstatthaft ist Kabinettsjustiz, unstatthaft sind Ausnahmegerichte, das sind solche, die praeter
oder contra legem konstituiert sind, die also die gesetzlichen Gerichte verdrängen sollen,
* 16 GVG. Etwas ganz anderes sind die Sondergerichte, sie sind ja im Gesetz vorgesehen (so
z. B. die ordentlichen und außerordentlichen Militärgerichte, die somit erklärlicherweise von
5 16 Satz 1 GV. nicht berührt werden, das. § 16 Satz 3).
3. Justiz und Verwaltung sind getrennt: den Gerichten darf keine andere Art Verwaltung
als die Justizverwaltung übertragen werden (EGVG. F 4). Sehr bedenklich ist die gewöhnliche
Auffassung, daß dessenungeachtet den einzelnen Mitgliedern der Gerichte Verwaltungsgeschäfte
aller Art übertragen werden könnten; damit wäre der ganze Zweck des & 4 cit. illusorisch gemacht.
4. In den vor die Gerichte gebrachten Sachen entscheiden jene selbst darüber, ob der Rechts-
weg zulässig ist oder nicht (8 17 Abs. 1 G .; vgl. aber unten § 17.
§ 10. II. Die Gerichtspersonen.
Literatur: Gneist, Die Bildung der Geschworenengerichte in Deutschland (1849);
Derselbe, Vier Fragen zur deutschen St PO. (1874), 142 ff.; Binding, Die drei Grund-
fragen der Organisation des Strafgerichts (1876); Herm. Seuffert, Erörterungen über
ie Besebung der Schöffengerichte und Schwurgerichte in Deutschland (1879), und im Gerichts-
saal Bd. XXXII S. 31 (1880); Otker, Die Rechtsgrundlagen der Schöffen= und Schwur-
gerichtsbildung, Goltd. Arch. Bd. XIIX S. 93, S. 203 (1902).
I. Die Gerichtspersonen sind teils „Richter“, teils „gerichtliche Neben-
personen“ (Gerichtsschreiber, Gerichtsvollzieher, Gerichtsdiener usw., sämtlich „nichtrichter-
liche Justizbeamte"). Der Schwerpunkt der Justiz liegt bei den Richtern, und zwar bei den
oständigen Richtem“, beamteten oder Beruferichtern.
II. Die Ubertragung des Berufsrichteramts erfolgt durch staatliche Anstellung, Ernennung
zum Amtsrichter, Landrichter usw. Sie muß auf Lebenszeit und gegen festes Gehalt erfolgen
und gibt dem Angestellten auch insofern eine besonders gesicherte Rechtsstellung, als er ohne
seine Zustimmung nicht „absetzbar“ und nicht „versetzbar“ ist (SS 6—8 GVG.).
Zum Richter kann ernannt werden, wer 3 Jahre auf einer Universität, davon mindestens
3 Halbjahre auf einer deutschen Universität, die Rechte studiert hat, darauf die erste juristische
Prüfung bestanden, 3 Jahre im praktischen Vorbereitungsdienst verbracht und die zweite juristische
Prüfung bestanden hat; auch ohne diese Voraussetzungen ist zum Richteramte fähig jeder ordent-
liche öffentliche Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule (s5s 2—5 GVG.).
Doch können beruferichterliche Geschäfte „zeitweilig“ auch von einem nicht als Richter
Angestellten (Assessor, Referendar, Rechtspraktikanten usw.) nach Maßgabe des Landesrechts
wahrgenommen werden (GVG. 10). Unfähig zur Wahrnehmung richterlicher Geschäfte
machen gewisse strafrechtliche Verurteilungen (StGB. I§s 31, 33, 34, ös 30, 32 MStG#B.).
III. Wer zum Richter emannt (oder gemäß § 10 GVG. als solcher einstweilig beschäftigt)
ist, ist grundsätzlich befähigt, in allen vorfallenden Strafsachen tätig zu werden. Er ist eben
„Richter“, während der nicht Ernannte oder ohne Fähigkeit zum Richteramt Ernannte Nicht-
richter ist seine Handlungen zum Prozeß also nichtig sind). Ausgenommen sind jedoch die-