Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

154 Ernst Beling. 
sprung gewährt. Freilich ist die volle Gleichheit nur ein Ideal, dessen mechanische Verwirk- 
lichung durchaus unmöglich ist. Denn die Staatsanwaltschaft hat schon deshalb, weil sie eine 
Behörde und lediglich amtlich, nicht persönlich mit der Sache befaßt ist, ferner weil sie der an- 
greifende Teil ist, eine bevorzugte Stellung, was z. B. in den §§ 159, 194 St PO. zum Ausdruck 
kommt. Und umgekehrt hat die Gesetzgebung eben deshalb in verschiedenen Hinsichten bewußter- 
maßen den Beschuldigten begünstigt, um einen Ausgleich in Ansehung der prozessualen Situation 
in ihrer Gesamtheit herbeizuführen. Diese Tendenz der Gesetzgebung bezeichnet man als den 
favor defensionis. Hierher gehört z. B. die Vorschrift, daß bei non liquet Freisprechung zu er- 
folgen hat; ferner die künstliche Majorität (Zweidrittelmajorität) für Bejahung der Schuldfrage 
¶ 262 St PO.); das Recht des Angeklagten auf das letzte Wort (§ 257 Abs. 2 St PO.); die Sätze 
über die Verteidigung, besonders die notwendige Verteidigung; die Bevorzugung des Ange- 
klagten bei der Ablehnung von Geschworenen (5 283 Satz 1 StpO. — Vortritt der Staats- 
anwaltschaft — und § 282 Abs. 2 Satz 2); die Beschränkung der staatsanwaltschaftlichen Revision 
(&& 378, 379 St PO.) usw. 
II. Die Pflichten der Parteien sind scharf umrissen; sie reichen nicht weiter als im 
Gesetz genau statuiert ist. Ubrigens sind hier wie in allen Disziplinen des Rechts die echten 
Pflichten scharf zu scheiden von den bloßen Berechtigungsbedingungen, bei denen die Hand- 
lung ganz in das Belieben der Partei gestellt ist, und die Partei im Falle des Nichthandelns 
lediglich gewisser Vorteile verlustig geht (z. B. Ablehnung eines Richters ist notwendig zur 
Erhaltung des Revisionsgrundes nach 377: St PO., aber „verpflichtet“ ist die Partei zur Ab- 
lehnung nicht). 
Unter den Rechten der Parteien ist von allgemeiner Bedeutung das Recht auf recht- 
liches Gehör. Audiatur et altera pars. Deshalb darf 
1. grundsätzlich kein Prozeß über den Kopf einer Partei hinweg stattfinden (Ausnahmen 
unten § 73). 
2. Es besteht sog. Parteiöffentlichkeit, d. h. die Parteien haben das Recht auf Anwesenheit 
bei den wichtigsten Prozeßakten: § 225 St PO. (Ausnahmen: 5§8. 246, 301 St PO., 5178 GVG.); 
5# 223, 191, 167 St PO. 
3. Vor jeder Entscheidung des Gerichts, sowie im unmittelbaren Anschluß an gewisse 
Prozeßakte (Beweiserhebung usw.) sind die Parteien (regelmäßig beide) zu hören (S§ 33, 132, 
135, 136, 190, 242 Abs. 3, 256—258; 264, 265; 3778 StPO.). 
Nicht sowohl eine Verleugnung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs als vielmehr eine 
bloße Verschiebung des Zeitpunktes der Verstattung zum rechtlichen Gehör bedeutet die Zu- 
lassung des Mahnverfahrens (unten 3 71). Kommt hhier der Beschuldigte auch v o#r Erlaß des Straf- 
befehls (der Strafverfügung, des Strafbescheids) nicht oder nicht voll zu Worte, so eröffnet 
sich ihm doch die Möglichkeit, nachträglich alles Zweckdienliche zur Geltung zu bringen; seine 
bloße Erklärung, sich nicht bei dem Strafbefehl (der Strafverfügung, dem Strafbescheid) beruhigen 
zu wollen, setzt, wofern sie nur frist- und formgerecht erfolgte, den Strafbefehl (die Straf- 
verfügung, den Strafbescheid) außer Kraft. Gelegenheit, voll zum rechtlichen Gehör verstattet 
zu werden, hat also auch hier der Beschuldigte in vollem Umfange; es liegt nur an ihm, wenn 
es nicht zur vollen Entfaltung der Parteirechte kommt. 
III. 1. Die Staatsanwaltschaft hat keine einseitige Parteistellung contra reum, 
sondern sie hat sich ganz auf den objektiven Standpunkt zu stellen — hat sie doch 
das Staatsinteresse zu wahren, welches ungerechtfertigten Verurteilungen durchaus widerstrebt — 
und ist daher auch verpflichtet und berechtigt, im Sinne der Entlastung und Freisprechung des 
Beschuldigten zu wirken (vgl. z. B. 88 158 Abs. 2, 338 Abs. 2 St PO.). 
2. Soweit es sich um die Staatsklage (öffentliche Klage) handelt, hat die Staatsanwalt- 
schaft ein Klagemonopol, X7 152 Abs. 1 St PO. (Ausnahme §s 464). 
3. Es gilt Legalitäts.-, nicht Opportunitäts prinzip, d. h. die Staatsanwalt- 
schaft muß einschreiten, wenn die materiell und prozeßrechtlichen Voraussetzungen dafür vor- 
handen sind (s 152 Abs. 2 St PO.). Lehnt die Staatsanwaltschaft die Klageerhebung ab, so 
kann der Antragsteller, der zugleich der Verletzte ist, ein gerichtliches Klageprüfungsverfahren
	        
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