156 Ernst Beling.
befehl, Festnahme, Beweisantrag, Ladung, Offnung der Gerichtssaaltüren usw. Jeder dieser
Typen weist seine besonderen Artenmerkmale auf. In dieses Chaos kann man zunächst dadurch
Ordnung hineinbringen,
1. daß man scheidet zwischen: richterlichen Handlungen — Parteihandlungen — Hand-
lungen anderer Personen, insbesondere der behördlichen Hilfsorgane. Innerhalb der richter-
lichen Handlungen bilden die Entscheidungen im weitesten Sinne (Urteile, Haftbefehle, Er-
öffnungsbeschlüsse usw.) den Kern; den Unterbau der Entscheidungen bilden die die Unterlagen
der Entscheidungen aufsuchenden Untersuchungshandlungen. Die Entscheidungen hinwiederum
zerfallen in a) prozeßerledigende, das sind solche, die dahin lauten, daß der Prozeß
zu Ende sein solle, sei es wegen Unstichhaltigkeit des Prozeßverhältnisses oder wegen Mangels
des Strafklagerechts — sog. Formalentscheidung —, sei es unter Aburteilung des
materiellen Prozeßgegenstandes — sog. Sachentscheidung: b) laufende Ent-
scheidungen.
2. Tiefer greift eine Einteilung nach einem anderen principium divisionis. Die Prozeß-
handlungen bestehen nämlich
a) teils in publizistischen Rechtsgeschäften: wahrnehmungsbedürftigen zur Rechtsfolge-
auslösung bestimmten Willenserklärungen: so Klage, Eröffnungsbeschluß, Urteil, Rechtsmittel-
einlegung usw.;
b) teils in sonstigen Erklärungen (Wissenserklärungen, wie Mitteilungen, Beurkundungen)
oder Betätigungen ohne Erklärungsinhalt (Festnahme, Offnung der Saaltüren usw.).
Zu den besonderen Merkmalen der prozessualischen Rechtsgeschäfte und damit zu den
Artmerkmalen der Klage, des Urteils usw., gehört, daß die Erklärung von dem Erklärenden
gewollt und daß sie emstlich gewollt (nicht zum Schein abgegebeng ist.
II. Jeder dieser Prozeßhandlungstypen kann aber denkbarerweise unter verschiedenen
Modalitäten auftreten. So kann namentlich die äußere Form, sowie das zeitliche und örtliche
Milieu der Handlung verschieden sein (z. B. schriftliche, mündliche Klage, Rechtsmitteleinlegung,
Urteilsfällung usw.). Diese Modalitäten bedingen nicht neue Arten von Prozeßhandlungen,
sondern nur Erscheinungsformen dieser Arten.
Bei den Prozeßhandlungen rechtsgeschäftlichen Charakters spielt als Erscheinungsform
(hinsichtlich des Inhalts der Erklärung) namentlich die Bestimmtheit oder Unbestimmtheit
der Willenerklärung (Bedingtheit, Alternativität) eine Rolle.
III. Inwieweit die auf rein deskriptivem Wege als tatsächlich möglich gefundenen Typen
von Prozeßhandlungen rechtlich zulässig sind, lehrt der besondere Teil des Strafprozeßrechts
(unzulässig heute Gottesurteil, Folter usw.).
Was die Zulässigkeit des Auftretens der Prozeßhandlungen in bestimmten Erscheinungs-
formen anlangt, so ist
1. hinsichtlich der Form allgemein bestimmt, daß Prozeßerklärungen (in gesprochenen
oder geschriebenen Worten) in deutscher Sprache — der „Gerichtssprache“ — auftreten
müssen, G. § 186 (vgl. aber §§# 187—193).
2. Inwieweit prozessualische Willenserklänungen bedingt oder alternativ lauten
können, ist nicht unstreitig. Im Prinzip werden weder bedingte noch alternative Erklärungen
zu beanstanden sein, vorbehaltlich freilich einer Reihe von Prozeßakten, die absolute Bestimmt-
heit erfordern.
IV. Eine nach Art und Erscheinungsform (1 und II) statthafte (III) Prozeßhandlung
kann rechtliche Beachtung nur finden, wenn der Handelnde die dazu erforderliche rechtliche
Fähigkeit besitzt, d. h. kraft Rechtens so handeln kann. Darüber unten §# 28.
V. Die Feststellung, daß die Prozeßhandlung als solche nach Art und Erscheinungsform
zulässig, und daß das Handlungssubjekt zur Vornahme solcher Prozeßhandlungen befähigt sei,
ergibt noch keineswegs die Befugnis zu ihrer Vornahme. Vielmehr müssen für jede Prozeß-
handlung, soll anders sie in conereto zulässig sein, besondere der konkreten Sachlage angehörige
Umstände gegeben sein, die man als Prozeßgestaltungsvoraussetzungen
(= Voraussetzungen, unter denen der Prozeß so oder so gestaltet werden darf) bezeichnen kann.