Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

14 F. Wachenfeld. 
der Handlung sein, so muß sie dieselbe Wesenseigentümlichkeit wie diese zeigen. Besteht nun 
die Unterlassung ebenso wie die Handlung aus einer Kausalkette? Man hat diese Frage bis- 
weilen verneint. Die ablehnende Ansicht beruht im Grunde auf dem Satz: Aus nichts kann 
nichts werden. Die Nichttätigkeit bedeutet jedoch nicht bloßes Nichtstun, sondern die Nicht- 
vornahme einer bestimmten, von der Rechtsordnung erwarteten Tätigkeit. Die Tätigkeit wird 
erwartet zur Verhütung eines verbrecherischen Erfolgs. Mithin muß während der Nichttätig- 
keit der Eintritt eines solchen in Aussicht stehen, also eine ihn ermöglichende Kausalkette bereits 
angeregt sein. Wer sich durch seine Nichttätigkeit zum Herrn über eine Kausalkette macht, der 
handelt kausal. Daß von ihm die Anregung derselben nicht ausging, ist gleichgültig. Denn 
derjenige, welchem eine Frucht in den Schoß fällt, hat nicht minder die Herrschaft über dieselbe 
wie derjenige, der sie erst pflücken muß. Daß dem Nichttätigen eine Tätigkeit erspart wird, 
ändert nichts an seinem Herrschaftsverhältnis. Wem die Frucht in den Schof füällt, braucht, 
um sich zum Herrn über dieselbe zu machen, nichts weiter zu tun, als seinen Herrschaftswillen 
zu bekunden. In der Außerung seines Willens liegt die Ubernahme der Herrschaft über die 
durch einen Dritten oder durch ein Naturereignis angeregte Kausalkette und in dieser Uber- 
nahme das kausale Element der Unterlassung. 
Nun hat aber nicht jeder, der sich zum dominus causae macht, die Verpflichtung, den 
rechtswidrigen Erfolg abzuwenden. Darum kann nur derjenige zur Verantwortung gezogen 
werden, dem eine solche Pflicht obliegt. Die Pflicht ist in allgemeinen oder besonderen Geboten 
der Rechtsordnung begründet. Eines ausdrücklichen Ausspruchs bedarf es nicht. Es genügt, 
daß die Pflicht aus dem mit einer bestimmten rechtlichen Stellung verbundenen Pflichtenkreise 
folgt, wie z. B. die Ernährung des neugeborenen Kindes durch die Mutter. 
M eine zwingende Pflicht wird man auch die Beseitigung der durch freiwilliges Ein- 
greifen veranlaßten Gefahr anzusehen haben. Niemand ist verpflichtet, sich des am Wege 
liegenden Verwundeten anzunehmen. Tut er es aber, so ist er für die Folgen verantwortlich, 
wenn er denselben aufnimmt und im einsamen Walde verläßt. 
Gewöhrlich unterscheidet man zwei Arten von Unterlassungsdelikten: 
1. Uneigentliche Unterlassungsdelikte, sog. Kommissivdelikte durch Unterlassung, das sind 
Zuwiderhandlungen gegen Verbote, die ebensogut durch positive als durch negative Tätigkeit 
übertreten werden können. Es ist z. B. die Tötung des neugeborenen Kindes gleicherweise 
strafbar, wenn sie durch Ersticken, wie dann, wenn sie durch Nahrungsentziehung herbei- 
geführt wird. 
2. Eigentliche Unterlassungsdelikte, sog. Omissivdelikte, das sind Ubertretungen von Ge- 
boten. Man nimmt bei dieser zweiten Gruppe vielfach an, daß hier die Nichttätigkeit ohne 
Rücksicht auf irgendeinen Erfolg unter Strafe gestellt sei. Das ist nicht richtig. Denn die Strafe 
wird angedroht im Hinblick auf eine Gefahr, welche durch die possitive Tätigkeit beseitigt werden 
soll (z. B. durch Anzeige von dem Vorhaben eines Delikts, durch Streuen bei Glatteis u. dgl.). 
Nur solange die Gefahr besteht, ist das Delikt zu begehen möglich. Wendet dieselbe ein anderer 
als der Verpflichtete rechtzeitig ab, so kann dieser um seiner Nichttätigkeit willen nicht gestraft 
werden. Es gehört demnach auch zur Unterlassung die Herbeiführung eines Erfolgs, und 
es ist vollkommen gerechtfertigt, die Unterlassung in den weiteren Begriff der Handlung 
mit einzubeziehen. 
Ort und Zeit der begangenen Handlung. Die Handlung, welche also 
sowohl die positive als auch die negative Tätigkeit mit ihren Wirkungen bis zum Erfolg ein- 
schließlich umfaßt, dehnt sich über eine ganze Strecke hin aus. Es ist darum ein Gericht als Ort 
der begangenen Handlung dann zuständig, wenn sich alle Bestandteile der Handlung in seinem 
Gebiet verwirklicht haben. Wäre es aber nur dann zuständig, so müßte man in den meisten 
Fällen auf einen einheitlichen Gerichtsstand verzichten. Deshalb ist man bestrebt, den Tatort 
auf einen einzigen Punkt der Strecke zu konzentrieren. Man legt dabei bald auf die verbreche- 
rische Tätigkeit, weil in ihr der böse Wille in Erscheinung trete, bald auf den Erfolg Gewicht, 
weil sich danach die Eigenart der Handlung bestimme. Beides ist insofern nicht zutreffend, 
als man nicht ausschließlich eines der beiden Momente betonen darf. Die Tätigkeit kann nicht 
den Ausschlag geben, da die ersten Wirkungen derselben schon an dem Ort, an dem sie statt-
	        
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