Strafprozeßrecht. 161
der Hauptverhandlung vorgeführte Beweismaterial zur Verurteilung nicht hinreiche, wenn
er auf Grund dieses Materials von der Schuld überzeugt ist). Gelegentlich eines neueren
Sensationsprozesses ist streitig geworden, ob der Verteidiger auch dann auf Freisprechung zu
plädieren habe, wenn er persönlich mehr Belastungsmaterial kennt, als in der Verhandlung
vorgeführt, und deshalb weiß, daß der Angeklagte schuldig ist, während das produzierte Beweis-
material zum Schuldbeweis nicht hinreicht. Die Frage wird von der durchaus überwiegenden
Meinung bejaht, — mit Recht, denn der Verteidiger ist eben weder berechtigt noch verpflichtet,
Belastungsmaterial, es sei direkt, es sei indirekt, in den Prozeß einzuführen, weil er dadurch
zum Angreifer werden würde.
II. Der sog. „Beistand“ ist sozusagen ein Verteidiger minderen Rechts; die St P. er-
wähnt ihn in §& 149 (Fassung durch Art. 35 II EB#GB. und in § 427 (vgl. § 418p).
#§ 31. III. Form und zZeit der Prozeßhandlungen.
Literatur: Kallee, Der Übersetzer im Strafprozeß (1911); v. Kapff, Der Dolmetscher
im Prozeß (1911).
I. Unter den für Prozeßerklärungen vorgeschriebenen Formen kommen außer der
deutschsprachlichen Einkleidung (oben § 27 III 1) namentlich je nachdem Mündlichkeit — Schriftlich-
keit — Protokollarerklärung in Betracht. Diese Formen machen ganz regelmäßig eine wesent-
liche Erscheinungsform des Prozeßakts aus. «
II. In zeitlicher Hinsicht erhalten viele Prozeßhandlungen ihre Stelle im Prozeß
durch eine Frist oder einen Termin angewiesen.
1. Eine Frist ist ein Zeitabschnitt, innerhalb dessen eine Prozeßhandlung vorzunehmen
ist (Handlungsfrist), z. B. § 170 St PO., oder nicht vorzunehmen ist (Zwischenfrist), z. B. § 216
St PO. Wie im Zivilprozeß sind zu unterscheiden gesetzliche Fristen (deren Dauer sich un-
verlängerbar und unverkürzbar nach dem Gesetz richtet, — im Strafprozeß meist eine Woche)
und richterliche Fristen; fremd ist dem Strafprozeß die Bezeichnung „Notfrist“. Die Berechnung
der Fristen ist in 88 42, 43 St PO. geregelt.
Die Fristen sind teils dem Gericht gesetzt (z. B. 5 275 St PO.) — dann hat ihre Nicht-
einhaltung gewöhnlich keine prozessualen, sondern nur eventuell disziplinarische Folgen —,
teils den Parteien und Dritten, — dann sind sie, insoweit sie Handlungsfristen sind, regel-
mäßig „Präklusipfristen“, d. h. die nicht innerhalb der Frist vorgenommene Handlung ist
verloren; doch kann der Präkludierte gegen die Versäumung der Frist Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand (restitutio in integrum) erlangen, wenn die Versäumung durch
vVis maior verursacht war, oder mit den Worten des Gesetzes, wenn der Antragsteller durch Natur-
ereignisse oder andere unabwendbare Zufälle an der Einhaltung der Frist verhindert worden
ist, wobei als unabwendbarer Zufall auch die unverschuldete Unkenntnis von einer erfolgten
Zustellung gilt (§ 44 St PO.). Zur Erlangung der Wiedereinsetzung bedarf es eines Gesuchs,
das binnen einer Woche nach Beseitigung des Hindernisses bei dem Gericht, bei dem die Frist
wahrzunehmen gewesen wäre, anzubringen ist; die Versäumungsgründe müssen darin ange-
geben und glaubhaft gemacht sein (s 45). Zugänglich der Wiedereinstellung sind im Strafprozeß
alle Fristen ohne Unterschied; es gilt hier daher namentlich nicht der zivilprozessualische Satz:
Restitutio restitutionis non datur.
2. Ein Termin ist ein zur Vornahme von Prozeßhandlungen bestimmter Zeitpunkt.
Ausbleiben der Beteiligten vereitelt gewöhnlich den Termin. Doch ist eine Hauptverhandlung
ohne Anwesenheit des Angeklagten oder des Privatklägers in dem dazu anberaumten Termine
in den Fällen der 5s 230—232, 319, 370, 390, 427, 431, 451, 457, 475 St PO. möglich; gegen
das alsdann in absentia ergangene Urteil hat der Ausgebliebene, wenn er durch vis maior am
Erscheinen verhindert war, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 234 St PO.), es
müßte denn sein, daß der Ausgebliebene von der Befugnis, sich vertreten zu lassen, Gebrauch
gemacht hatte oder von der Verpflichtung zum Erscheinen entbunden worden war (5 234 Abs. 2
St PO.).
Die Bedeutung des Zeitmoments ist sehr verschieden. Mitunter ist die Wahrung der vor-
geschriebenen Zeit geradezu rechtliche Erscheinungsform eines Prozeßakts (so sind Beweis-
Enzyklopädie der Rechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Aufl. Band V. 11