Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

164 Ernst Beling. 
völliger Beurteilungsfreiheit ergangenen Entscheidung innerlich von selbst ergibt; nur beschränkt 
sind dagegen die Beschlüsse ex 85 172, 210, 208 St PO. der materiellen Rechtskraft fähig: sie lassen 
bei Hervortreten von nova neue Klage zu. 
Formalentscheidungen sind der materiellen Rechtskraft nicht fähig. Das Einstellungs- 
urteil ex § 259 Abs. 2 St PO. enthält freilich eine latente Freisprechung hinsichtlich der Tat in 
ihrer Eigenschaft als etwaigen Offizialdelikts und erwächst insofern in Rechtskraft, die Tat 
bleibt nur als Antragsdelikt verfolgbar, was freilich nicht unstreitig ist. 
Die Wirkung der res iudicata darf nicht darin gefunden werden, daß der Straf- 
anspruch konsumiert sei: konsumiert wird durch die Rechtskraft nur das Strafklage- 
recht. Ein dessenungeachtet neu eingeleitetes Strafverfahren müßte somit mit Einstellung, 
nicht mit Freisprechung enden. Der Vorschützung der exceptio rei judicatae von seiten des 
Beschuldigten würde es dabei natürlich nicht bedürfen, die Rechtskraft ist von Amts wegen zu 
beachten. Vernichtet ist aber das Strafklagerecht nur in Ansehung des Beschuldigten, — nicht 
der etwaigen Teilnehmer an der Tat; und nur in Ansehung der Tat, — nicht anderer Taten 
desselben Beschuldigten. Das Identitätsproblem löst sich nach den oben § 7 III gegebenen 
Sätzen. Der Rechtskraft unteilhaftig sind die Entscheidungs gründe. 
Der Grundgedanke der materiellen Rechtskraft ist nicht der, daß das rechtskräftige Urteil 
schlechterdings als richtig anzunehmen sei (Fiktionstheorie); denn die Fiktion der Richtigkeit 
wird des öfteren erschüttert und bedürfte auch selber erst der Erklärung; auch nicht der, daß es 
der aequitas entspreche, die einmal entschiedene Sache fortan ruhen zu lassen (Billigkeitstheorie), 
denn gerade die Billigkeit würde unendlich oft eine abermalige Verhandlung zu dem Zwecke, 
um die Wahrheit ans Licht zu bringen, verlangen. Vielmehr entspringt das Ne bis in idem 
der Erwägung, daß die Autorität der Rechtsprechung und mit ihr die Autorität der Rechts- 
ordnung und nicht minder die Rechtssicherheit Schaden leiden müßten, wenn fort und fort eine 
Erneuerung der Prodezur möglich wäre. Gerade dieser Grundgedanke weist aber auch auf 
der anderen Seite deutlich genug darauf hin, daß das Prinzip der Rechtskraft nicht überspannt 
werden darf; denn solche Uberspannung würde gerade erst recht autoritätsgefährdend und be- 
unruhigend wirken. So ergibt sich das Postulat: die Rechtskraft darf nicht eklatante Un- 
gerechtigkeiten zudecken; gegen solche muß Abhilfe geschaffen werden können, der 
Rechtskraft zum Trotz. Diesem Postulat wird das Gesetz gerecht durch Zulassung einer „Wieder- 
aufnahme des Verfahrens“; s. unten §# 66. 
8 34. 
2. Laufende Entscheidungen. 
Literatur: Delius, Sitzungspolizeiliche Befugnisse der Behörden (1893). 
I. Die laufenden Entscheidungen sind regelmäßig Beschlüsse oder Verfügungen, nur aus- 
nahmsweise Urteile, nämlich insoweit die Entscheidung auf Aufhebung eines vorinstanzlichen 
Urteils und Zurückverweisung der Sache aus der Berufungs= oder Revisionsinstanz in die untere 
Instanz lautet (§5 369, 394 St PO.. 
Die laufenden Entscheidungen sind für das Gericht grundsätzlich nicht bindend. Aus- 
nahmen namentlich: die Urteile ex s#§# 369, 394 St PO.;alle mit sofortiger Beschwerde anfecht- 
baren Entscheidungen (§ 353 Abs. 3 St PO.); der Eröffnungsbeschluß usw. 
II. In der Hand teils des Gerichtsvorsitzenden, teils des Gerichtsganten liegen die Prozeß- 
leinung und die Prozeßpolizei (§ 237 St PO., §§J 177—185 GV.), aber auch — im Gegensatz 
zum Zivilprozeß — der Prozeßbetrieb. 
III. Unter die „Prozeßpolizei“ speziell (das Gesetz spricht — zu eng — von „Sitzungs- 
polizei“) fallen alle Maßregeln, die auf Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung im Prozesse 
abzielen; sie äußert sich in Zwangsmaßregeln und in Ordnungsstrafen. 
Das wichtigste Stück der Prozeßpolizei ist die Sitzungspolizei. Sie wird vom Vor- 
sitzenden ausgeübt, vom Gerichtsganzen nur, wenn es sich handelt um Entfernung aus dem 
Sitzungszimmer, sowie Zwangshaft (§ 178 GV.), oder um Verhängung einer Ordnungs- 
strafe wegen Ungebühr (S§ 179, 180, G.).
	        
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