168 Ernst Beling.
es sich um Aussagen vor dem Schöffengericht handelt: hier müssen die wesentlichen Ergebnisse
der Vernehmungen in das Protokoll aufgenommen werden (im Hinblick darauf, daß gegen
schöffengerichtliche Urteile Berufung zulässig ist und möglicherweise in der Berufungsinstanz ein
Verlesen der erstinstanzlichen Aussage anstatt abermaliger Vernehmung wünschenswert erscheint,
366 St PO.). Für die Förmlichkeiten der Hauptverhandlung ist das Protokoll durch § 274
zume inzigen und nur durch Nachweis der Fälschung entkräftbaren Beweismittel erhoben, —
eine legislatorisch überaus anfechtbare Bestimmung.
2. Zu beurkunden ist auch das vom Gericht gesprochene Urte il' (§ 275 St PO.). Die
Abfassung der Urteilsurkunde liegt zunächst entwurfsweise dem Berichterstatter ob und bedarf
der Unterschrift aller beteiligt gewesenen Urteiler. Sie enthält den Kopf oder Urteilseingang
(das Rubrum, d. i. die Angabe der Strafsache; die Bezeichnung des Sitzungstages; die Namen
der Richter, der Schöffen, des Beamten der Staatsanwaltschaft und des Gerichtsschreibers,
die an der Sitzung teilgenommen haben), den Tenor oder entscheidenden Teil und die Gründe.
Die Gründe speziell müssen im allgemeinen die Tat= und die Rechtsfragebeantwortung erkennen
lassen; detaillierte Bestimmungen sind enthalten in § 266 St PO. Eine Mitteilung über die
Beweiswürdigung verlangt § 266 nicht, es entspricht aber der Billigkeit, daß das Urteil auch
über diesen Punkt Rechenschaft ablegt, wie dies auch regelmäßig in der Praxis geschieht. Wenn
behauptet worden ist, daß sich die Anführung der Beweisgründe durch das Prinzip der freien
Beweiswürdigung verbiete, so ist dabei verkannt, daß auch die „freie“ Beweiswürdigung eine
durch Vernunftgründe gebundene ist und das Gericht sich keineswegs bei Feststellung einer Tat-
sache einem nebelhaften Gefühl überlassen darf (s. unten § 47 U).
Die Gründe müssen wahrheitsgemäß dasjenige wiedergeben, was bei der Beratung und
Abstimmung herworgetreten ist, und so, wie es hervorgetreten ist. Unzulässig ist es namentlich
(trotzdem mitunter Zulässigkeit oder Notwendigkeit behauptet wird), eine Abstimmung über
die in die Urteilsurkunde hineinzuschreibenden Gründe zu veranstalten (z. B. wenn drei Richter
wegen Notwehr, zwei Richter wegen Nichtidentität des Angeklagten mit dem Täter für Frei-
sprechung votiert haben, im Wege der Abstimmung die Notwehr als alleinigen Freisprechungs-
grund erscheinen zu lassen); auf solchem Wege könnte leicht eine Falschbeurkundung herauskommen.
Geht die Erinnerung der Richter hinsichtlich der zu beurkundenden Vorgänge auseinander, so
ist dies wahrheitsgetreu so kenntlich zu machen, daß jeder Unterschreibende lediglich dasjenige
bezeugt, was seiner Erinnerung nach historisch richtig ist.
IV. Die Stoffsammlung.
§ 39.
1. Im allgemeinen.
Literatur: Vgl. zu § 40. Über den Gegensatz von Beweisrecht und freier Feststellung:
Beling, Revision wegen Verlekun einer Rechtsnorm über das Verfahren, in der Festschri 46
für Binding (1911) Bd. II, 16.
I. Die nxs — Aufsuchung der Unterlagen für eine zu fällende Entscheidung
besteht, da jede Entscheidungstätigkeit das Ergebnis einer Subsumtion von Tatsachen unter einem
Rechtssatz ist, in
1. Aufsuchung der heranzuziehenden Rechtssätze;
2. der erheblichen Tatsachen (Lebenskonkreta), und zwar (je nach der zu ziehenden Kon-
sequenz)
a) der prozessualerheblichen, d. h. derjenigen, von denen nur Prozeßverhältnis, Straf-
klagerecht und Prozeßgestaltung abhängen (Beispiel: Wohnsitz des Beschuldigten als kompetenz-
begründende Tatsache, Fluchtverdacht bei Haft usw.);
b) der materiellrechtlich, d. h. für den Prozeßgegenstand selbst relevanten, also solcher,
von denen Existenz und Größe des Strafanspruchs und der zugehörigen Nebenansprüche abhängt.
Da diese Tatsachen (a und b) mitunter nur unter Zuhilfenahme eines Erfahrungssatzes
erforscht werden können, so bedürfen vorkommendenfalls der Aufsuchung ferner
3. die Erfahrungssätze.