Strafprozeßrecht. 169
Die Stoffsammlung als solche ist, weil nur fragender, forschender Natur, gegensätzlich
gegen die Entscheidungstätigkeit; dies schließt aber nicht aus, daß in ihren Dienst auch Ent-
scheidungen einzustellen sind (Beschluß auf Vereidigung eines Zeugen usw.).
II. Die suchende Tätigkeit vollzieht sich je nach dem Objekt in total verschiedener Weise.
Zu I1 1. Die Rechtssätze hat der Richter von Amts wegen zu kennen, wenn
nicht, im Wege des Studiums, des Nachschlagens und Denkens zu erforschen. Facta probantur.
jura novit curia; eine regelrechte Beweisaufnahme über Rechtssätze findet nicht statt; Ein-
holung etwaiger Rechtsgutachten ist keine Beweisaufnahme. Handelt es sich um ausländisches
Recht, so kann freilich auch der Weg einer Quasibeweisaufnahme beschritten werden (Ver-
nehmung von Kennern des ausländischen Rechts als Quasisachverständiger usw.), wobei die
Sätze des Beweisrechts analoge Anwendung finden.
Zu 12. Für die Feststellung der Lebenskonkreta bedeutet es einen einschneidenden Unter-
schied, ob ihre Feststellung dazu dienen soll, die Tatsache in den einen Urteilstenor tragenden
Syllogismus einzustellen, die Tatsache also Bestandteil der Urteilsbasis sein soll, oder ob dies
nicht der Fall ist.
a) Soll die Tatsache den Inhalt eines Urteils bedingen, so liegt bei der großen Bedeutung.
gerade der Urteile aller Anlaß zu peinlichster rechtlicher Regelung der Feststellungsprodezur,
namentlich zu Wahrheitserforschungsgarantien, vor. Deshalb ist für alle Tatsachen, die der
Urteilsbasis zugehören, das Beweisrecht im engeren Sinne aufgestellt (unten §§ 40 ff..
Die hierher gehörigen Tatsachen sind bei Sachurteilen durchweg materiellrechtlich relevante
(die Tat und alle Tatumstände). Bei dem Formalurteil figuriert die prozessual relevante Tat-
sache des Nichtgestelltseins oder des Zurückgenommenseins eines Strafantrags als Urteilsbasis.
b) Soweit es sich nicht um die Gewinnung der Urteilsbasis handelt, kann eine Tatsachen-
feststellung notwendig werden -
a)beieinerUrteilsfällungzurGewinnungderGewißheitübereineUrteilsvormxssetzung
oder Urteilsqualitätsvoraussetzung (z. B. ob der Angeklagte Zivilperson ist, ob Klage
erhoben, Eröffnungsbeschluß erlassen ist, ob in der Hauptverhandlung die Gerichts-
saaltüren geöffnet waren);
8) zum Behufe einer nicht urteilsmäßigen richterlichen Entscheidung (z. B. Beschluß über
die Eröffnung des Hauptverfahrens, Strafbefehl, Beschluß über Vereidigung eines
Zeugen) oder einer nichtrichterlichen Entscheidung (z. B. staatsanwaltschaftlichen Ein-
stellungsverfügung).
Bei dem Komplex dieser Tatsachen stehen die nur prozessualrelevanten im Vordergrunde;
jedoch gehören — zu 8 — auch materiellrelevante dazu (Tatbegehung für den Strafbefehl usw.).
In den Fällen zu b) ist das Bedürfnis nach exakter Feststellung viel geringer, und es würde
sogar, wenn auch für die hierher gehörigen Tatsachenfeststellungen das schwerfällige Beweis-
recht gälte, der Prozeß derart belastet und verzögert werden, daß darunter der eigentliche
Prozeßzweck, die schnelle Gewinnung eines Urteils und die exakte Aufsuchung der Urteilsbasis,
Not leiden könnte. Deshalb gilt hier im allgemeinen Feststellungsfreiheit, d. h.
eine ungebundene Feststellungsprodezur (Zulassung der Mittelbarkeit der Beweiserhebung,
keine Zeugenvereidigung, Zulässigkeit der Verwertung von Privatkenntnissen usw.). Im
Gesetz tritt dies einmal darin zutage, daß die Hauptsätze des Beweisrechts in den Abschnitt über
die „Hauptverhandlung“ eingestellt sind; sodann darin, daß z. B. für die staatsanwaltschaftliche
Tatsachenforschung an Stelle der Bezeichnung als „Beweis“ die Bezeichnung „Ermittlung“
verwendet wird (vgl. StPPO. § 158 Abs. 2).
Wo es sich also darum handelt, eine Tatsache nicht als Urteilsbasis festzustellen, kommt
es nur darauf an, daß sich die Behörde von ihr vergewissert, — wie, das ist gleichgültig
(Beispiel: einfache Aktenlektüre für den Eröffnungsbeschluß; Befragung des Gerichtsdieners,
ob die Saaltüren offen seien, behufs Feststellung, ob die Offentlichkeit der Hauptverhandlung
als Urteilsvoraussetzung gewahrt ist).
Soweit einzelne Partieen des Beweisrechts auch hier anwendbar sein sollen, bedarf es be-
sonderer Gesetzesbestimmung oder besonderer Analogien. Allgemein läßt sich sagen, daß die
Beweisverbote Feststellungsverbote überhaupt sind.