Strafprozeßrecht. 171
2. Das Beweisrecht insbesondere.
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a) Der Gegenstand des Beweises.
Literatur: Mittermaier, Lehre vom Beweise (1834); Rupp, Beweis im Straf-
verfahren (1884); Heusler, Archiv f. zivilist. Praxis Bd. LXII S. 217; R. Schmidt,
Außergerichtliche Wahrnehmungen des Prozeßrichters, Sächs. Archiv f. bürgerl. R. Bd. II S. 265;
Stein, Privates Wissen des Richters (1893); F. Schmid, Präsumtionen im deutschen Reichs-
strafrecht (1884); Bauer, Theorie des Anzeigebeweises (Abhandlungen Bd. III, 1843);
Mittermaier, Der sog. künstliche Beweis, Goltd. Arch. Bd. VI S. 45; Porsch, Die Be-
deutung des Beweises durch Indizien in dem kirchlichen Gerichtsverfahren (1876); Beling,
Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1903).
I. Beweisbedürftig sind grundsätzlich alle für die Urteilsbasis relevanten Tatsachen (oben
539 II zu 12), und zwar nicht nur 1. die unmittelbar relevanten = dem Rechtssatz als der propositio
maior unmittelbar zugrunde zu legenden, wie z. B. die Wegnahme der Sache im Diebstahls-
prozeß (Urteilsbasistatsachen erster Ordnung), sondern auch 2. solche Tatsachen, die auf eine
Tatsache der ersten Art erst einen Schluß zulassen, sog. Indizien (z. B. im Diebstahlsprozeß der
Umstand, daß der Verdächtige außergewöhnlich viel Geldmittel gehabt hat). Der auf die Tat-
sachen ad 1 gerichtete Beweis ist der „direkte“, „natürliche", der auf die Tatsachen ad 2 gerichtete
der „künstliche“, „indirekte“ oder „Indizienbeweis“.
Der Indizienbeweis ist heute gleichen Ranges mit dem direkten Beweis. Anders im ge-
meinen Strafprozeß: die CCC. (Art. 22) verbot die Verhängung von Strafe auf Grund bloßer
Indizien und ließ lediglich die Folter in solchem Falle zu, — auch diese nur, wenn „genugsame
Anzeygung“ vorlag. Heute ist der gelungene Indizienbeweis vollwertig, nur daß dem Grund-
satz der Unmittelbarkeit gemäß zum Indizienbeweis nur mangels direkten Beweises gegriffen
werden darf.
II. Von den relevanten Tatsachen darf prinzipiell keine ohne regelrechte Beweisprozedur
als feststehend angenommen werden. Von diesem Satz gibt es jedoch Ausnahmen:
1. Ohne Beweis stehen fest die Tatsachen, die nach dem Gesetz präsumiert werden
(ogl. z. B. J 315 HGB., 5 186 St GGB.). Die fortschreitende Rechtsentwicklung wird freilich
alle kriminellen Präsumtionen über Bord zu werfen haben. Ihre Verwerflichkeit wird heute
wohl von keiner Seite mehr in Abrede gestellt. Sie schlagen, besonders die Schuldpräsum-
tionen, dem Satze ins Gesicht, daß nur der wirklich Schuldige bestraft werden darf; denn ist ihr
Zweck auch nur, den wirklich Schuldigen und nur nicht Uberführbaren zu treffen, so treffen
sie doch ohne Unterschied den in Wahrheit Unschuldigen mit dem Schuldigen. Den Satz „Ohne
Schuld keine Strafe“ durchbrechen sie zwar nicht direkt, aber sie schlagen ihm — was noch
schlimmer ist — ein Schnippchen, indem sie ihn umgehen.
Nur einigermaßen gemildert wird die Gefährlichkeit der Rechtsvermutungen dadurch,
daß sie wenigstens in der Regel nur einfache praesumtiones iuris, nicht juris et de jure sind,
also Gegenbeweis zulässig ist.
2. Notorische Tatsachen, sie seien allgemeinkundig oder auch nur gerichtskundig, sind
ebenfalls ohne Beweiserhebung verwertbar. (Wohl aber bedürfen regelrechten Beweises solche
Tatsachen, von denen der Richter nur private Kenntnis hat.)
III. Der Umstand, daß die betreffende Tatsache schon in einem anderen (Zivil= oder Straf.)
Prozeß bewiesen worden ist, macht den Beweis nicht unnötig in dem Sinne, als ob das Gericht
genötigt wäre, die Beweisfrage als schon erledigt anzusehen. (Ausnahme § 190 StGB.) Auch
der Umstand, daß eine Tatsache unter den Parteien unstreitig ist, hindert im Strafprozeß das Gericht
nicht, erst noch über ihre Richtigkeit Beweis zu erheben (vgl. oben § 23).
IV. Es gibt ausnahmsweise Tatsachen, die der forschenden Tätigkeit des Gerichts ent-
zogen sind: es gibt absolute Beweisverbote. Hierher muß insbesondere § 251 St PO.
gerechnet werden. Nach diesem Paragraphen darf die Aussage eines vor der Hauptverhandlung
vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisweigerungsrecht
Gebrauch macht, nicht verlesen werden. Der Sinn dieser Bestimmung liegt auf der Hand: jenes
frühere Zeugnis soll auf sich beruhen bleiben und nicht verwertet werden, weil sonst das Zeugnis-