172 Ernst Beling.
weigerungsrecht illusorisch gemacht werden würde. Somit ist das Verbot der Protokoll-
verlesung im Wege der Analogie auf jede andere Erforschung der früheren Aussage zu erstrecken, —
ein geradezu klassisches Beispiel für einen Analogieschluß (vgl. oben § 3 II). Die gegenteilige
Praxis des Reichsgerichts, derzufolge die Vernehmung der Urkundspersonen, die bei der früheren
Aussage zugegen waren, zulässig sein soll, hebt den § 251 völlig aus den Angeln.
8 41.
b) Die Beweistätigkeit, insbesondere das Unmittelbarkeits—
prinzip.
Literatur: Spohr, Das Beweisinteresse in Strafsachen (1894); Meves, Der Beweis-
antrag und seine prozeßrechtl. Behandlung, Goltd. Arch. Bd. XIL S. 291, 416 (1892); Bene-
dikt, Die selbständigen Erhebungen des Verteidigers (1901); v. Kries, Das Prinzip der Un-
mittelbarkeit, Ztschr. f. StrR Wiss. Bd. VI S. 88; Rupp, Beweis im Strafverfahren (1884),
S. 125 ff.; Maas, Grundsatz der Unmittelbarkeit (1907); Kulischer, Das Zeugnis vom
Hörensagen, in Grünhuts Ztschr. Bd. XXXIV.
I. Während es im Zivilprozeß Sache der Parteien ist, dem Gericht Beweis zu er-
bringen, ist im Strafprozeß das Gericht dazu berufen, ex ofkicio den etwa vorhandenen
Beweisen für alle beweisbedürftigen Tatsachen, sie seien belastende oder entlastende, nachzu-
spüren und die Beweiserhebung zu besorgen. (Vgl. St PO. § 153 Abs. 2.)
II. Demgemäß gibt es im Strafprozeß keine formelle Beweislast, derzufolge
die Rollen von Beweisführer und Beweisgegner unter die Parteien verteilt wären, je nach-
dem, ob es sich um „klagebegründende“ oder um „Einredetatsachen“ handelte (Klagebeweis,
Exzeptionsbeweis usw.). Deshalb unterscheiden sich auch „Beweis“ (Belastungsbeweis) und
„Gegenbeweis“ (Entlastungs-, Verteidigungsbeweis) nicht durch die Verschiedenheit der Prozeß-
subjekte, von denen sie ausgehen, sondern nur durch den Gegensatz der Tatsachen, auf die sie
sich beziehen, d. h. im Strafprozeß liegt der Gegenbeweis so gut wie der Belastungsbeweis in
der Hand des Gerichts; dieses muß ebensosehr die etwa vorhandenen gegen die Richtig-
keit einer Tatsache sprechenden Gründe wie die für sie sprechenden aufsuchen. Sache der
Parteien ist es lediglich, die Beweiserhebungstätigkeit des Gerichts anzuregen, auf das Vorhanden-
sein von Beweismöglichkeiten aufmerksam zu machen usw.
Selbstverständlich ist es den Parteien nicht verwehrt, den erheblichen Tatsachen nach-
zuspüren, Zeugen ausfindig zu machen (natürlich nicht sie zu beeinflussen), Privatdetektiv-
bureaus in Tätigkeit zu setzen usp. Man hat davon gesprochen, daß dann neben der gericht-
lichen Untersuchung eine „Nebenuntersuchung“ der Staatsanwaltschaft bzw. des Beschuldigten
und des Verteidigers nebenher gehe, und man hat solche Nebenuntersuchungen bedenklich finden.
wollen im Hinblick darauf, daß — wenigstens von Eröffnung der Voruntersuchung oder des
Hauptverfahrens ab — das Gericht ein Beweiserhebungsmonopol habe. Allein der Umstand,
daß der Beweis im technischen Sinne Gerichtssache und ausschließliche Gerichts-
sache ist, besagt nicht, daß alles Forschen dem Gericht vorbehalten wäre. Wie könnte
das der Fall sein! Ist es doch nicht einmal gänzlich Unbeteiligten verboten, zu beliebigen
Zwecken auch während schwebenden Prozesses sich durch Einholungen von Auskünften usw.
zu informieren. Nur sind natürlich alle solche Nebenuntersuchungen als solche für das Gericht
prozessual unbeachtlich, und sie sind, insoweit sie von Privaten ausgehen, natürlich der Zwangs-
gewalt bar. Aber sie treten in ihrer ganzen Bedeutung hervor, wenn die Partei, gestützt auf
das von ihr gesammelte Material, bei Gericht Beweisanträge stellt; solche Beweisanträge
sind selbstverständlich willkommener als ins Blaue hinein gestellte! Es ist behauptet worden,
daß Rechtsanwälten in ihrer Eigenschaft als Verteidiger von Standesehre wegen nicht anstehe,
solche Nebenuntersuchungen zu leiten. Dem läßt sich nicht beitreten; nur ist selbstverständlich,
daß der Forschende sich in alle Wege nur lauterer Mittel bedienen muß. Tut er das, so ist
natürlich auch keine Rede davon, daß er, falls man seiner etwa als Zeugen benötigen sollte,
als der Begünstigung verdächtig uneidlich zu vernehmen wäre (5 56 3 StPO.); und es wäre
ein bedauerlicher Mißgriff, wenn das Gericht Anwälte als Zeugen eben lediglich deshalb un-
eidlich vernähme, weil sie eine „Nebenuntersuchung“ geleitet haben.