174 Ernst Beling.
Wird der Augenschein unter Mitwirkung von Sachverständigen vorgenommen, so liegt
„gemischter oder zusammengesetzter Augenschein“ vor, so bei Schriftvergleichung (§ 93 StPO.)
und Obduktion (I# 87—90 St PO.).
II. Urkunde im Sinne des Strafprozeßrechts ist jedes Schriftstück, d. i. jeder Gegen-
stand, in den ein Mensch durch Schriftzüge einen Gedankeninhalt hineingelegt hat. Die Er-
mittlung dieses Gedankeninhalts bildet das Ziel des Urkundenbeweises, im Gegensatz zum Augen-
scheinbeweis, bei dem es sich nur um unmittelbare Sinneswahrnehmung der körperlichen Be-
schaffenheit handelt. Die Beweisaufnahme erfolgt durch Verlesung der Urkunde (IJ248 St PO.);
verpflichtet, sie zu dulden, ist jeder Inhaber der Urkunde (§& 94, 95 St PO.). Unzulässig ist
es gemäß dem Grundsatz der Unmittelbarkeit, eine Zeugenvernehmung durch Urkundenbeweis
(Protokollverlesung u. dgl.) zu ersetzen (§ 249 Satz 2 St PO. [Ausnahmen: #s# 250, 2551,
oben §# 41 IV).
7) Die persönlichen Beweismittel.
Literatur: Dochow, Der Zeugniszwang (1877); Rubo, Über den Zeugniszwang
(1878); Lemcke, Der Zeugniszwang (1908); Schwalb, Beichtgeheimnis und Zeugnispflicht
(1895); Hubrich, Konzfessioneller Eid oder religionslose Veteuerung (1900) Osterrieth,
Der Nebenkläger als Zeuge (1897); Stein, Privates Wissen des Richters (1893); Mode,
Beichtsiegel und Zeugnispflicht, Arch. f. kathol. Kirchenrecht, Bd. LXXXII S. 476.
§ 44.
as) Zeugen.
I. Zeugen sind dritte Personen, die im Prozeß zur einfachen Aussage über Tat-
sachen herangezogen werden; dem Privat= und dem Nebenkläger muß die Zeugnisfähigkeit
abgesprochen werden, wohingegen der Vernehmung des zufällig im selben Verfahren
Mitbeschuldigten als Zeugen nichts im Wege steht. Die Zeugnisfähigkeit kommt allen „Dritten“
zu; testes inhabises, wie sie das gemeine Recht kannte (unbekannte Zeugen, belohnte Zeugen,
Ketzer und Ungläubige im Prozeß gegen orthodoxe Christen, Kinder, Geisteskranke usw.), gibt
es heute nicht; auch der noch so suspekte Zeuge wird nicht von vornherein ausgeschaltet, sondern
er wird vernommen (eventuell ohne Vereidigung), und nachträglich wird dann die Uberzeugungs-
kraft seiner Aussage geprüft.
II. Die Zeugnispflicht umfaßt die Pflicht zum Erscheinen, die Pflicht zur Aus-
sage und die Pflicht zur Eidesleistung.
1. Das Nichterscheinen des Zeugen trotz gehöriger Ladung zieht — abgesehen von der
Kostenlast — Exekutivzwang und Ordnungsstrafen nach sich (§ 50 St PO.).
2. Auch bei Aussageweigerung greifen Verurteilung in die Kosten, Zwangsmaßregeln
und Ordnungsstrafen Platz (§ 69 St PO.). Doch gibt es Personen, die die Aussage weigern
dürfen (§51 StPO. — totales Zeugnisverweigerungsrecht; §5 52—54 — Auskunftsweigerungs-
recht hinsichtlich bestimmter Fragen).
3. Jeder Zeuge muß auf Erfordern des Richters schwören. Gegen Weigerung greifen
auch hier Kostenauferlegung, Zwang und Ordnungsstrafen Platz (§ 69 StPO.). Ausnahms-
weise können den Eid verweigern: die Personen, deren Vereidigung gesetzlich unzulässig ist
(unten V a), sowie die mit einem totalen Zeugnisweigerungsrecht nach § 51 St PO. ausge-
statteten Personen (8 57 St PO.).
III. Berechtigt, Zeugen zu laden (5§ 48 St PO.), sind Gericht und Staatsanwaltschaft.
Insoweit es sich um die Ladung zur Hauptverhandlung handelt, haben aber außerdem der
Angeklagte, der Privat-- und der Nebenkläger, bei Verwaltungsklage die Verwaltungsbehörde
das Recht der sog. unmittelbaren Ladung (§§ 219, 426, 437, 466, 467 St PO.), deren Form
in St PO. 38 geregelt ist.
IV. Die Vernehmung des Zeugen ist heute keine „artikulierte“ mehr; der Zeuge hat im
Zusammenhange anzugeben, was er weiß (§ 68 St PO.). Jeder Zeuge ist einzeln und in Ab-
wesenheit der später abzuhörenden Zeugen (nicht der schon abgehörten Zeugen, auch nicht der
Sachverständigen) zu vernehmen; in Verbindung damit steht die Bestimmung, daß eine Gegen-