176 Ernst Beling.
eine Reformbewegung, die leider bereits im MStGO. 8 42 Abs. 3 eine gewisse gesetzliche An-
erkennung gefunden hat. Ganz entgegengesetzt fordern andere die gänzliche Beseitigung des
Eides und Ersetzung desselben durch eine rein weltlich-juristische Versicherung („auf Ehre und
Gewissen“ oder ähnlich), den sog. bürgerlichen Eid.
§ 45.
bb) Sachverständige.
Literatur: Hegler, Die Unterscheidung des Sachverständigen vom Zeugen, Arch. f.
zivilist. Praxis Bd. CIV S. 151. — Vgl. Obermeyer, Die Lehre von den Sachverständigen
im Zivilprozesse (1880).
I. Sachverständige sind wie die Zeugen dritte Personen, die sich über die Richtigkeit
oder Unrichtigkeit einer relevanten Tatsache auszulassen haben. Der Sachverständige unter-
scheidet sich aber vom Zeugen dadurch, daß seine geistige Leistung höher steht: während der
Zeuge einfach aussagt, gibt der Sachverständige ein „Gutachten“ ab, d. h. er bekundet die Tat-
sache auf Grund einer bewußten schlußfolgernden Tätigkeit, bei der ein auf besonderer Sach-
kunde beruhender genereller Satz (ein „Erfahrungssatz“ = ein auf besonderem Erwerb beruhender
wäre es auch seinem Wesen nach aprioristischer — mathematischer us. — Satz) als propositio
maior, und eine von dem Gutachter als gegeben einzusetzende Tatsache als propositio minor
dient. (Diese Begriffsbestimmung deckt auch die aus einer der „idiographischen“ Wissenschaften
hergeleiteten Gutachten: auch hier lediglich Folgerung an der Hand von Erfahrungssätzen aus
der Psychologie, Diplomatik usw.) Die „einfache Aussage“ des Zeugen stellt sich demgegen-
über dar als bloße Eröffnung des Bewußtseinsinhalts vermittelst Erinnerung unter Zuschlag
solcher Schlußfolgerungen, die keine besondere Sachkunde voraussetzen. Zeuge bleibt auch der-
jenige, der sich vor seiner Vernehmung das durch einfache Aussage kundzugebende Wissen erst
auf Aufforderung des Gerichts verschafft hat. Nicht haltbar ist die Meinung, der Zeuge sei
testis de praesenti, der Sachverständige testis de praeterito. Ebensowenig aber kann der Unter-
schied zwischen Zeugen und Sachverständigen darin gefunden werden, daß erstere Tatsachen,
letztere Erfahrungssätze beisteuerten. Das Wesentliche des Gutachtens ist die Erklärung, für
die erfolgerte Tatsache als für eine erfolgerte einstehen zu wollen; ob dabei der Syllogismus
selber mitverlautbart wird, insbesondere also auch, ob der Erfahrungssatz (die propositio maior)
mitkundgegeben wird, ist sekundärer Bedeutung (vgl. oben § 39 II zu 13). Begnügt sich der
Richter damit, von einem Sachkundigen lediglich die Vorlegung eines abstrakten Erfahrungs-
satzes zu fordern, so erfordert er überhaupt kein „Gutachten“, mag auch der Sachkundige
dabei nach Analogie des Sachverständigenbeweisrechts zu behandeln sein (vgl. oben 39 a. E.).
Nicht zu den Sachverständigen gehört der sog. sachverständige Zeuge; er bekundet mittels
einfacher Aussage die Tatsache, daß er früher unter Verwertung besonderer Sachkunde aus
einer von ihm gemachten Wahrnehmung einen Schluß gezogen hat. Vgl. St PO. F 85.
II. Unfähig, als Sachverständiger zu fungieren, ist 1. wem die nötige Sachkunde fehlt;
2. wer nach #§ 72, 56 St P. eidesunfähig ist (zu 2 streitig). Kraft Gesetzes ausgeschlossen
ist der in § 87 Abs. 1 Satz 2 St PO. genannte Sachverständige; ablehnbar sind Sachverständige
grundsätzlich wie Richter (§ 74 St PO.).
III. Die Sachverständigenpflicht beschränkt sich im Gegensatz zur Zeugnispflicht auf die
in § 75 St PO. genannten vier Personenkategorien, nämlich: 1. solche Personen, die zur Er-
statiung von Gutachten der erforderten Art öffentlich bestellt sind; 2. solche Personen, die die
Wissenschaft, die Kunst oder das Gewerbe, dem die zu handhabenden Erfahrungssätze ent-
fließen, öffentlich zum Erwerbe ausüben; 3. solche Personen, die zur Ausübung dieser Wissenschaft
öffentlich bestellt sind; 4. solche Personen, die sich zur Begutachtung vor Gericht bereit erklärt
haben (im Falle 4 bemißt sich natürlich der Umfang und die Tragweite der Verpflichtung nach
der Bereiterklärung).
Auch die unter Ziffer 1—4 fallenden, in abstracto Pflichtigen haben aber möglicherweise
im konkreten Falle ein Begutachtungsweigerungsrecht, wenn nämlich ein Grund vorliegt, auf
den sie eine Zeugnisweigerung stützen dürften, wenn sie Zeugen wären (§5 76 St PO.).