Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

178 Ernst Beling. 
Nicht Übersehen werden darf, daß die Beweiswürdigungsfreiheit nicht etwa Beweis- 
würdigungs willkür ist; die Beweiswürdigung muß mit einer conviction raisonnée, nicht 
einer conviction instinctive operieren (Heranziehung der Lehren der Psychologie . 
Durchbrochen wird jedoch der Grundsatz der freien Beweiswürdigung durch die Prä- 
sumtionen (oben § 40 II; vgl. auch § 475 St PO.). 
II. Nur wenn klar bewiesen (eventuell auf Grund ergänzender Präsumtionen anzunehmen) 
ist, daß alle für das Bestehen des Strafanspruchs unerläßlichen Tatsachen vorliegen, und daß 
ihn ausschließende Tatsachen (Schuldausschließungs-, Strafausschließungs-, Strafaufhebungs- 
gründe usw.) nicht vorliegen, ergeht Verurteilung. Jeder nicht behobene Zweifel (non liquet) 
an irgendeiner relevanten Tatsache (z. B. Notwehr, Zurechnungsfähigkeit, Verjährung) führt 
zur Freisprechung: In dubio pro reo. Der Kläger trägt im Strafprozeß die materielle 
Beweislast. Alle Einschränkungen dieses Satzes, die mitunter behauptet werden, sind 
unberechtigt und willkürlich. Nur eine etwa vorhandene Präsumtion entbindet vom Beweise. 
Drittes Kapitel. 
Sicherungsmittel im Strafprozeß. 
Literatur: Hegler in der Festschrift für Binding Bd. II S. 204 ff. (1911). 
§ 48. 
A. bersicht und Einteilungsgesichtspunkte. 
Sicherungsmittel sind Maßnahmen, die, ohne eigentliche Bestandteile des Strafverfahrens 
selber zu sein, an dieses in der Tendenz angegliedert werden, um die ohne sie gefährdete zweck- 
gemäße Durchführung des Verfahrens zu sichern, zu welchem Behufe der Behörde (eventuell 
Privaten) unter bestimmten Voraussetzungen die Befugnis zu Eingriffen in die sonst geschützte 
Rechtssphäre der Rechtssubjekte verliehen wird. Die nach der St PO. zulässigen Sicherungs- 
mittel (unten Ss# 49—53) gruppieren sich 
I. wenn man auf ihren Zweck sieht, wie folgt: 
1. Schutzmittel gegen ein Nichtzurstellesein des Beschuldigten und dadurch drohende 
Prozefvereitelung: 
a) Fluchthaft und dem Entrinnen entgegenwirkende vorläufige Festnahme; 
b) Bermögensbeschlagnahme in den Fällen unten § 50 1; 
Tc) Durchsuchung, soweit auf Ergreifung des Beschuldigten gerichtet. 
2. Schutzmittel gegen Beweisvereitelung oder verwirrung („Beweis“ hier im weiteren 
Sinne — Tatsachenfeststellung): 
a) Kollusionshaft und der Kollusion entgegenwirkende vorläufige Festnahme: 
b) Individualbeschlagnahme; . 
chEditionszwangz soweit dem Beweisinteresse dienend. 
d) Durchsuchung; 
3. Schutzmittel gegen Vollstreckungsvereitelung: 
a) Beschlagnahme von Einziehungsstücken; 
b) Spezial- und Voll-Vermögensbeschlagnahme in den Fällen unten § 50 II. 
II. Nach ihrer äußeren Erscheinung sind die Sicherungsmaßnahmen teils 
1. körperliche Einwirkung auf den Beschuldigten: 
a) Untersuchungshaft und vorläufige Festnahme; 
b) Persondurchsuchung; — teils 
2. körperliche Einwirkung auf Sachen: 
a) Vermögens- und Individualbeschlagnahme; 
b) Raum= und Sachdurchsuchung; — teils 
3. psychische Einwirkung: Editionszwang.
	        
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