Strafrecht. 17
Zweites Kapitel.
Das Verbrechen als unerlaubte Handlung.
§ 6. Ausschluß der Rechtswidrigkeit.
Das Berbrechen ist eine unerlaubte Handlung. Jede unerlaubte Handlung richtet sich
gegen ein rechtlich geschütztes Interesse. Die Erörterung über die Rechtswidrigkeit kann sich
also auf Darstellung derjenigen Gründe beschränken, welche ausnahmeweise einen Eingriff in
rechtlich geschützte Interessen gestatten.
Das Strafgesetzbuch hat auf eine umfassende Regelung dieser Gründe verzichtet und sich
mit Bestimmungen über Notwehr und Notstand begnügt. Zu den zahlreichen anderen Gründen
gebören insbesondere folgende:
1. Amt. Der Richter, welcher eine Haussuchung vornimmt, begeht keinen Haus-
friedensbruch.
2. Beruf. Die vom Arzt vorgenommene Operation stellt sich nicht als Körpewerletzung
dar, sofern sie in berufsmäßiger Pflichterfüllung geschah. Fraglich ist dabei aber, inwieweit
die Berufspflicht eine Grenze an dem Willen des Patienten oder seiner Angehörigen findet.
Eine befriedigende allgemeine Regel wird sich hierfür kaum aufstellen lassen. Die Umstände
des konkreten Falls müssen entscheiden. Nur das gilt als sicher, daß eine Operation gegen
den Willen des Patienten stets widerrechtlich bleibt.
3. Besondere gesetzliche Ermächtigung. Eine solche gibt z. B. 8 127 StPO. Daher ist
die Festnahme des bei der Tat ertappten Diebes keine Freiheitsberaubung. Einen anderen
Fall enthalten die Vorschriften, nach welchen die Selbsthilfe ausnahmsweise erlaubt ist, wie
nach §J229 BGB. Besonders wichtig wird die Ermächtigung für das Züchtigungsrecht. Letzteres
besitzen die Eltern und der Vormund, ferner der Lehrer gegenüber den Schulkindern, der Lehr-
herr gegenüber dem Lehrling. Die Berechtigten können es auf dritte Personen ausdrücklich
oder stillschweigend übertragen. Eine solche Ubertragung ist z. B. für Erzieher und Kinder-
mädchen anzunehmen. Diese begehen, sofern ihnen das Schlagen nicht ausdrücklich verboten
ist, mit der Züchtigung des Kindes keine Körpererletzung. Uberschreitung des Züchtigungs-
rechtes ist natürlich widerrechtlich und strafbar.
4. Einwilligung. Diese schließt keineswegs, wie man nach dem Satz volenti non kit
injuria vermuten sollte, in allen Fällen die Rechtswidrigkeit aus. Über Rechtsgüter, an deren
Erhaltung auch der Staat ein Interesse hat, wie namentlich das Leben, darf man nicht beliebig
verfügen. Die Einwilligung in die Tötung macht daher die Handlung nicht straflos und be-
wirkt, wenn sie sich nicht zu einem ausdrücklichen und ernstlichen Verlangen steigert, nicht einmal
eine Strafherabsetzung (vgl. S 216 St GB.).
5. Selbstverletzung. Sie wird vom positiven Recht anders als die Einwilligung be-
handelt und schließt, abgesehen von dem singulären Fall des § 142 StGB., stets die Rechts-
widrigkeit aus.
6. Verbindlicher Befehl, soweit ihm gegenüber blinder Gehorsam geschuldet wird. Eltern
können wohl verbindliche Befehle geben, aber, weil die Erziehungsgewalt ihre Grenze in Recht
und Moral findet, keine Straftat anbefehlen. Das gleiche gilt vom Dienstherrn, da ein Dienst-
vertrag, mit dem die Ausführung eines Delikts übernommen wäre, gegen die guten Sitten
verstoßen und nichtig sein würde. Ein Beamter ist wohl verpflichtet, eine Handlung, die zu
seiner und seines Vorgesetzten formeller Zuständigkeit gehört, auch gegen die Gesetze auszuführen.
Der Befehl aber beseitigt nicht die Rechtswidrigkeit seines Tuns. Denn wenn der Beamte auch
als solcher nicht anders handeln kann, so schuldet er doch keinen blinden Gehorsam und kann
sich durch Verlassen des Dienstes der Begehung des Delikts entziehen. Anders der Soldat.
Einem Befehl in Dienstsachen (nicht jedem Dienstbefehl), mit dessen Ausführung eine über-
tretung begangen wird, muß er ohne Prüfung nachkommen. Er ist insoweit Werkzeug in
der Hand des Vorgesetzten, und darum muß für ihn allerdings der Befehl die Rechtswidrigkeit
seiner Handlung beseitigen (§ 47 MStGB.).
Enzyllopadie der NRechtswissenschaft. 7. der Neubearb. 2. Auft Band V. 2