18 F. Wachenfeld.
8 7. Insbesondere Notwehr und Notstand.
Notwehr. Das Strafgesetzbuch definiert die Notwehr als „diejenige Verteidigung,
welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen, rechtswidrigen Angriff von sich oder einem
anderen abzuwenden" (5 53 Abs. 2 StGB.). Hiernach ist die Notwehr nur möglich gegen einen
unmittelbar bevorstehenden Angriff. Dieser darf also weder erst demnächst zu erwarten noch
bereits beendet sein. Er kann über die Vollendung des Delikts hinausgehen. Deshalb ist gegen
den flüchtigen Dieb Notwehr möglich. Zum Schutze eines jeden Rechtsgutes und einer jeden
Person ist Notwehr gestattet. Sie darf in jeder Handlung bestehen, welche zur Abwendung
des rechtswidrigen Angriffs erforderlich ist. Demgemäß ist zum Schutze des Eigentums oder
der Ehre selbst Tötung erlaubt. An irgendwelche Beschränkung kann nicht gedacht werden.
Denn es ist niemand verpflichtet, lieber das Unrecht zu erleiden als andere zu schonen. Wird
die Verteidigungshandlung über die durch die Not gezogenen Grenzen hinaus ausgedehnt, so
erscheint sie rechtswidrig und müßte, streng genommen, strafbar sein. Dennoch läßt das positive
Recht den Exzeß straflos, sofern der Täter in Bestürzung, Furcht oder Schrecken die Grenzen
der Verteidigung überschritten hat (§ 53 Abs. 3 StGB.). "
Notstand. Der zweite vom Strafgesetzbuch selbst behandelte Ausschließungsgrund,
der Notstand, ist viel umstritten. Seine Berechtigung wird bisweilen sogar verneint. Man
versteht unter Notstand eine Zwangslage, welche nur durch Verletzung fremder Rechte beseitigt
werden kann. Insoweit umfaßt der Notstand auch die Notwehr. Aber der Umstand unter-
scheidet ihn von der letzteren, daß die Notstandshandlung die Rechte unschuldiger dritter Per-
sonen verletzt, während die Notwehr einen unberechtigten Angriff zurückweist. Der Angreifer
hat das Recht, unangetastet zu bleiben, verwirkt. Dritte Personen aber verlieren keine Rechte,
weil sich andere in Not befinden. Darum versagt zur Begründung des Notstandes der bei der
Notwehr durchschlagende Gesichtspunkt. Dennoch nimmt die Not auch hier der verletzenden
Handlung den Charakter eines Delikts. Denn einerseits entschuldigt die Rechtsordnung die
Verletzung, indem sie bei einer Interessenkollision nicht verlangt, eher unterzugehen, als fremde
Rechte zu schonen, anderseits macht sie die Selbsterhaltung zur Pflicht. Daher ist der Notstand,
so unerklärlich dessen Beschränkung auf einzelne Rechtsgüter nach manchen Theorien erscheint,
nur zum Schutz der höchsten, unveräußerlichen Rechtsgüter gestattet.
Nur zwei Rechtsgüter sind es, bei deren Gefährdung die Rechtswidrigkeit entfällt. Das
sind Leben und körperliche Integrität.
Aus der prinzipiellen Auffassung ergibt sich, daß die Straflosigkeit der Notstandshandlung
nicht auf die Gefahr, in der man sich selbst befindet, beschränkt, aber auch nicht aus-
gedehnt werden darf auf die Gefahr, in der sich Fremde befinden. Man hat nicht für Fremde,
wohl aber, außer für sich selbst, für nächste Angehörige zu sorgen. Das positive Recht erlaubt
denn auch den Notstand zur Rettung des Kindes oder des Vaters, aber nicht des Freundes.
Ohne Grund hat der Gesetzgeber den Notstandsbegriff in zwei Stücke zerteilt: in Nötigung,
d. i. die Notlage, welche durch einen anderen Menschen mittels unwiderstehlicher Gewalt oder
gefährlicher Drohung hervorgerufen wird (§ 52 St GB.), und in Notstand i. e. S., d. h.
die Notlage, welche durch Naturereignisse und durch andere äußere Umstände entsteht
6& 54 Ste .).
Die Zerteilung hat eine praktische Folge, nämlich die, daß im letzteren Fall die Rechts-
widrigkeit bestehen bleibt, wenn die Notlage selbst verschuldet wurde. Der Brandstifter, der
sich selbst auf Kosten anderer aus dem brennenden Hause rettet, darf sich auf Notstand nicht be-
rufen. Dagegen aber ist dies demjenigen gestattet, der durch den von ihm selbst gereizten Gegner
bedroht wird. .
Eine Ergänzung finden die strafrechtlichen Bestimmungen über Notstand durch das Bürger-
liche Gesetzbuch. Dieses gibt zur Abwendung von Gefahr fremdem Eigentum gegenüber ein
Novtrecht, sofern der drohende Verlust ungleich größer ist als der Schaden, den die Notstands-
handlung an dem fremden Gut anrichtet (§ 904 GGB.). Man hat also ein Recht, den fremden
Kahn zur Rettung selbst eines Fremden zu benutzen. Droht eine Gefahr durch eine fremde
Sache, wie z. B. durch den stromab treibenden Kahn, so ist man zur Zerstörung derselben befugt
(5 228 BG.).