Strafprozeßrecht. 201
gliederung eines zivilrechtlichen Elements in eine Strasfsache machte natürlich gewisse Sonder-
bestimmungen für das Verfahren notwendig.
Eine Buße kann nur demjenigen Berechtigten zugesprochen werden, der sie im Prozeß
ausdrücklich begehrt. Das Bußbegehren kann erhoben werden (#8 443, 446 St PO.):
1. in Form der Privatklage (so jedoch, daß die Privatklage niemals bloß auf Buße ge-
richtet, sondern das Bußbegehren nur mit der Privat str af klage kombiniert sein kann);
2. in Form der Nebenklage.
Der Bußkläger ist als solcher Hauptpartei, und zwar alleinige Partei (unter Ausschluß
der Staatsanwaltschaft). Der Prozeß ist trotz der zivilrechtlichen Natur der Buße ein Strafprozeß.
Es müssen daher die materiellrechtliche Beurteilung und die Prozedur hier ganz besonders
scharf auseinandergehalten werden. Materiellrechtlich ist das bürgerliche Recht maßgebend
(Verzicht, Zahlung, Aufrechnung, Hingabe an Zahlungs Statt usw.), für die Form des Ver-
fahrens dagegen nicht die 8 PO., sondern die St PO. (Geständnis, Anerkenntnis, Parteieid,
Anwaltszwang, Beweislast usw.). Doch modifiziert § 445 St PO. dies in einem bedeutsamen
Punkte, insofern der zivilprozessualische Satz ludex ne eat ultra petita partium auf den Buß-
prozeß übertragen wird.
#§ 71. II. Mahnverfahren.
Siteraatur: v. Schwarze, Ereterungen. I (1880) S. 1; Tischer, Der Strafbe fehl
** Schulbensteiin= Goltd d. XXIX S. 444; Huther, Goltb. Ar
XXTVi 137, Bd. XL S. 112 e Ztschr. f. Ste##. BSd. XIII S. 224;
Nmeses#sle, Gerichtssaal Bd. L S. 44; Friedländer, Btschr. f. Str# W. Bd. XVII#
495, 667; Katzenstein, Mitteil. * Intern. Krim. Berein. Bd. X S. 169; W. Mitter-
maier das. S. 508; Levis, hr ie Bd. XIX S. 319; Boitus, Goltd. Arch.
Bd. XXiX S.)3; Arndt, zif StriW. Bd. V S. 277; Löbe, FLeeften (4. Aufl.
1912); Bonnenberg, Strafverf. in Vol- und Steuersachen (2. Aufl. 1899); Haven-
stein, Zollgesetzgebung des Reichs (2. Aufl. 1906); Katzenstein= Das preuß. Ges., betr. das
Verwaltungsstra eseran vom 26. Juli 1897 (1907); Merkel, Das Verf. bei Zuwiderhand-
lungen gegen die Vorschriften über die Erhebung öffentlicher Abgaben usw. im Königr. Sachsen
(1891); Ginsberg, Zurücknahme des Einspruchs und des Antrags auf gerichtliche Entscheidung,
Das Recht, Bd. VI E. 519.
Mahnverfahren ist ein schriftliches Verfahren, das zur Verhängung einer Strafe ohne
mündliche Hauptverhandlung führt, so jedoch, daß dem Beschuldigten gegen die so ergangene
Entscheidung ein Rechtsbehelf zusteht, vermittelst dessen er die Hinttberleitung der Strassache
in das ordentliche Verfahren erzielt. Das Mahnverfahren stellt sich also als ein Versuch
dar, die Angelegenheit ohne Hauptverhandlung abzumachen.
Hiecher gehören:
1. der amtsrichterliche Strafbefe hl, anfechtbar mittelst „Einspruchs“ (§§ 447—452
St PO.)
2. die polizeiliche Strafverfügung, anfechtbar mittelst „Antrags auf gerichtliche
Entscheidung“ (5 68 ESt PO., s5 453—458 St PO.);
3. der administrative Strafbescheid in Zoll-- und Steuerstrafsachen, anfechtbar
ebenfalls durch „Antrag auf gerichtliche Entscheidung“ (§6" ESt PO., FK 459—469 St PO.).
Ad 1. Ein Strafbefehl ist zulässig in den zur ursprünglichen Zuständigkeit der Schöffen-
gerichte gehörenden Strafsachen (mit Ausnahme der in § 27?—:8. G. bezeichneten Vergehen),
so jedoch, daß durch Strafbefehl höchstens Geldstrafe von 150 Mk. oder Freiheitsstrafe von
sechs Wochen, sowie Einziehung festgesetzt werden kann. Dem Klageformprinzip gemäß kann das
Gericht niemals ex ofkicio einen Strafbefehl erlassen, sondern immer nur auf Antrag der
Staatsanwaltschaft, der eine irreguläre Form der Klageerhebung darstellt. Trägt der Amts-
richter Bedenken, dem Antrage zu entsprechen, so behandelt er den Antrag, wie wenn er eine
Anklage wäre, und eröffnet — hinreichenden Verdacht der Tat vorausgesetzt — das Haupt-
verfahren vor dem Schöffengericht.
Wird ein Strafbefehl nicht durch Einspruch frist- und formgerecht angefochten, so erlangt
er die Wirkung eines rechtskräftigen Urteils (oben § 33 II).