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Strafbefehl unter dem Vorbehalt mündlicher Einspruchserhebung in einem sofort eventualiter
anberaumten Hauptverhandlungstermin erledigt werden; daß diese Sachen periodisch und
miteinander verbunden auf Grund eines feld- oder forstbehördlich geführten Rügeregisters ab-
gemacht werden; daß ein Beamter der Forstverwaltung usw. die amtsanwaltschaftlichen Funk-
tionen wahrnimmt; daß die Feld= und Forstschutzbeamten als Zeugen unter Berufung auf ihren
Diensteid aussagen usw.
§ 77. Anhang: Die Technik der strafprozessualischen Tatsachenerforschung,
sog. kriminalpolizeiliche Tätigkeit.
Literatur: Ortloff, Lehrbuch der Kriminalpolizei (1881); Niceforo, Die
Kriminalpolizei und ihre biewistenschaften- 1909) H. Groß, Die Erforschung des Sack
verhalts strafbarer Handlungen (3. Aufl. 1909); Derselbe, Handbuch für Untersuchungs-
richter (5. Aufl. 1908); Weingart, Kriminaltaktik (1904); Stieber, Praktisches Lehr-
buch der Kriminalpolizei (1860); Avs-= Lallement, Das deutsche Gaunertum (1858 bis
1862); Klaußmann, Berliner Gauner (1888); Lindenau „ in der Ztschr. f. Str# Wiss.
Bd. XXII S. 287, XXIV S. 381; Paul, Handbuch der kriminalistischen Photographie
(2. Aufl. 1900); Schneickert, Signalementslehre (I. Reiß, Das gesprochene Porträt,
II. Schneickert, Identitätsfeststellun F ohme Signalement; 1908); Schneickert, Grapho-
logie, Zschr f. Sir&ij. Bb. XXXII 637; Günther, Das Rotwelsch des deutschen
Gauners (1905); Weingart, Handbuch für das Untersuchen von Brandstiftun en Wis
ell, Der Polizeihund als Gehilfe der Strafrechtsorgane (1909); Windt- dièek,.
aktyloskopie 308 Klatt, Die Körpermessung der Berbrecher nach Verelllor und die
Photographie als die wichtigsten Hilfsmittel der gerichtlichen Polizei sowie Anleitung zur
Aufnahme von Fußspuren (1902); Klages, Die Probleme der Graphologie (1910);
Derselbe,, Prinzipien der Charakterologie (1910; Poppee, Graphologie (1908). — Archiv
gr# Kriminalanthropologie und Kriminalistik, seit 1898, hrsgeg. von H. Groß. Bgl. auch: Der
val der Gegenwart, hrsgeg. von Frank, Roscher und Schmidt Cerscheind in fort-
laufenden Heften).
I. Die Gestalt, in der ein Lebensvorkommnis, das schließlich als Verbrechensfall abge-
urteilt wird, zum ersten Male in den Bereich der Wahrnehmung tritt oder sonst die Aufmerk-
samkeit auf sich zieht, ist häufig nicht so, daß alsbald alle Tatsachen klarlägen, die für ein
bejahendes oder verneinendes richterliches Urteil erforderlich sind. Sehr häufig liegt von dem
hypothetischen Verbrechensfall bei der ersten Kunde nur ein Teil der unmittelbar relevanten
Tatsachen (oben § 40 1 l)zutage (z. B. es ist eine Leiche mit einer Schußwunde aufgefunden worden),
oder es fehlen diese sogar völlig, und sind nur spärliche Indizien (oben § 40 II 2) aufgetaucht (z. B.
ein Mensch wird vermißt). Dann ist von der ersten Kunde bis zu dem umfassenden Aufbau der
tatsächlichen Urteilsbasis ein weiter Weg; es gilt, Schritt für Schritt die erforderlichen er-
gänzenden Lebenskonkreta dazu zu ermitteln.
Diese Aufgabe der fortschreitenden Wissenserweiterung fällt in erster Linie und vornehm-
lich der Polizei zu (vgl. oben § 19 VIII). Die ihr gewidmete Tätigkeit wird daher gewöhnlich als
kriminalpolizeiliche Tätigkeit bezeichnet. Doch ist diese Bezeichnung nur eine denominatio s potiori.
Denn die in Rede stehende Tätigkeit ist gegebenenfalls auch von der Staatsanwaltschaft und
vom Untersuchungs= oder Ermittelungsrichter zu entfalten; auch der erkennende Richter kann in
die Lage kommen, „kriminalpolizeilich“ tätig zu werden: wiewohl die Strafsache in der Haupt-
verhandlung von den Ermittelungsanfängen weit entfernt ist, kann doch auch jetzt noch, besonders
infolge überraschender Wendungen, die Notwendigkeit zum Fortspüren auftreten; endlich können
auch andere Interessenten veranlaßt sein, gleiche Wege einzuschlagen, so namentlich der Privat-
kläger, aber auch der Angeklagte (in negativer Richtung, auch zur Ablenkung des Verdachts auf
andere in positiver Richtung). Das Wesen der Aufspürtätigkeit ist hier überall das gleiche.
Die kriminalpolizeiliche Tätigkeit ist Objekt rechtlicher Regelung insofern, als ihr überall
da, wo sie die Interessensphäre anderer Personen als des Forschenden in Mitleidenschaft zieht,
rechtliche Schranken gezogen sind (vgl. namentlich oben §§ 48—53). Soweit das nicht der Fall
ist und innerhalb der rechtlichen Schranken handelt es sich dagegen bei ihr nur um die Kunst
oder Technik der zweckmäßigen Wissenserweiterung. Die Kriminal-
polizeiwissenschaft ist daher kein Teil, sondern nur eine wenn auch wichtige Hilfswissenschaft
der Strafprozeßrechtswissenschaft.