Militärstrafrecht und Militärstrafverfahren. 213
Heeresgesetze Friedrichs I. für den ersten Krieg gegen Mailand 1158). Für rein militärische
Straftaten scheint zunächst Gewohnheitsrecht bestanden zu haben; doch kommen besondere
Strafbestimmungen zum Vorschein im Reichsgesetz, vom Nürnberger Reichstag 1431 für einen
Feldzug gegen Böhmen erlassen, und vor allem im Sempacher Brief, 1393 in Zürich festgesetzt
und beschworen (Fahnenflucht, Feigheit, Plünderung). Mit dem Aufkommen des Söldner-
wesens schlossen sich an die Uberlieferungen und an die allgemeinen Rechtsquellen die Artikels-
briefe an, die zunächst im wesentlichen die Pflichten des Soldaten aufzählen, die Strafbar-
keit ihrer Verletzung als selbstverständlich voraussetzen und die Strafart unbestimmt lassen
(Kriegsartikel Maximilians I. aus 1508), und erst später (Kriegsartikel Maximilians II., solche
für Fußknechte und für die Reiterei 1570 zum Reichsgesetz erhoben) ausführliche Bestimmungen
und Strafen bei Militärdelikten (Plünderung, Beutemachen, Fahnenflucht im Felde, In-
subordination) enthalten. Den Artikelsbriefen liegen die Söldnereide zugrunde, die dem Treu-
gelöbnis der Vasallen nachgebildet waren. Die Strafen waren, um die sehr gelockerte Manns-
zucht aufrechtzuerhalten, überaus streng (meist Todesstrafe), was dazu führte, daß sie vielfach
nicht vollzogen wurden und wirkungslos waren. Die Strafrechtsnormen der Carolina griffen
ein, wo die Kriegsartikel versagten. Von den vielen Kriegsartikeln, die in den Gebietsteilen
des Reiches erlassen wurden, sind als besonders bedeutsam für die deutsche Rechtsentwicklung
die Kriegsartikel Gustav Adolfs aus 1621 zu nennen; sie haben — unter Wegfall aller Reste eines
zweiseitigen Vertrags — den ausgeprägten Charakter eines Strafgesetzes; die Scheidung des
Artikels für Knechte und Reisige ist beseitigt. Aus dem Kriegsrecht war jetzt ein Strafrecht
geworden, das der Soldat überallhin mit sich nahm. Diese Kriegsartikel wurden vom Großen
Kurfürsten 1656 für Brandenburg und Preußen in der Hauptsache übernommen und bildeten
die wesentliche Grundlage für die spätere preußische Militärgesetzgebung. 1713 folgten in
Preußen neue Kriegsartikel für Unteroffiziere und Mannschaften, 1726 ein besonderes Dienst-
reglement für Offiziere (erneuert 1788). Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden die Kriegs-
artikel ohne wesentliche Fortbildung wiederholt erneuert (1749, 1797 im Anschluß an das
Allgemeine Landrecht, nach dem die gemeinen Straftaten der Soldaten von den Militär-
gerichten zu behandeln waren), doch sind die Strafen immer milder geworden. Das 18. Jahr-
hundert zeigt folgende gerichtliche Strafen: Todesstrafe: durch Verbrennen, Vierteilung durch
das Rad, den Strang, das Schwert, durch Erschießen; Freiheitsstrafen: Zuchthaus, Festungs-
haft, Schanzarbeit, Stockhaus, Profossenarrest; Leibesstrafen: Staupenschlagen durch
den Scharfrichter, Prügelstrafe, Gassenlaufen, Krummschließen, Brandmarkung; Ehrenstrafen:
Ehrlosigkeitserklärung, Verlust des Dienstgrades; Vermögensstrafen.
Die Napoleonischen Kriege und der siegreich durchbrechende Gedanke der allgemeinen
Wehrpflicht führten zur Milderung (Humanisierung) des Militärstrafrechts im Anfang des
19. Jahrhunderts (Hebung des Ehrgefühls durch Abschaffung der körperlichen Züchtigung —
Ausnahme bei Soldaten II. Klasse —, bessere Behandlung usw.). Danach setzten die Be-
strebungen ein, das Recht in Gesetzbüchern zusammenzufügen. In Bayern wurde im
Anschluß an Feuerbachs berühmtes bürgerliches Strafgesetzbuch durch AV. vom 19. Aug. 1813
der erste entscheidende Schritt getan (ergänzende Dienstvorschrift aus 1823); in Württem-
berg wurde am 20. Juli 1818 ein MSt GGB., das preußische MSt#B. wurde am
3. April 1845, das sächsische im Jahre 1855 erlassen. Ein neues MSt#B. wurde in
Sachsen im unschluß an das preußische am 4. Nov. 1867 erlassen; in den übrigen Staaten
des Norddeutschen Bundes wurde durch Verordnung des Königs von Preußen vom 29. Dez.
1867 das preußische Recht eingeführt. Bayern erhielt am 29. April 1869 ein neues MStGB.
Die Einheit der deutschen Armee (und Marine) in bezug auf die militärischen Straf-
satzungen brachte das Militärstrafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom
20. Juni 1872. Man konnte ihm nachsagen, daß es unter den Militärgesetzen aller Kultur-
staaten die mildesten und humansten Bestimmungen aufweise. Der erste Entwurf zu diesem
Gesetz war von dem hochverdienten preußischen Generalauditeur Fleck auf der Grundlage des
preußischen Rechts und unter besonderer Berücksichtigung des bayrischen ausgearbeitet und dann
von einem aus Offizieren und Militärjuristen gebildeten Ausschuß beraten worden. Der aus
den Beratungen heworgegangene Entwurf II wurde vom Bundsrat mit wenigen Anderungen
angenommen und am 28. April 1872 dem Reichstage als Entwurf III vorgelegt. Ein Ein-