214 Heinrich Dietz.
führungsgesetz und eine vom Geh. Justizrat Keller und dem Stadtrichter Dr. Rubo aus-
gearbeitete Begründung war beigegeben. In einem Ausschuß, aus 21 Mitgliedern des Reichs-
tags bestehend (Vorsitzender: der Abgeordnete Generalfeldmarschall Graf v. Moltke), wurde
der Entwurf beraten. Es kam zu lebhaften Auseinandersetzungen. Das Gesetz wurde am
8. Juni 1872 vom Reichstage mit sehr großer Mehrheit, tags darauf vom Bundesrat an-
genommen, am 20. Juni von Kaiser Wilhelm I. vollzogen. Er trat am 1. Okt. 1872 (auch
in Elsaß-Lothringen) in Kraft.
Die geschichtliche Entwicklung des Militärstrafrechts einschließlich der Gerichtsverfassung
und des Verfahrens aller Zeiten und Völker weiter zu verfolgen, wird eine lohnende Aufgabe
der Zukunft sein. Sie ist in umfassender Weise bis heute noch nicht dargestellt. Das Straf-
recht der waffenfähigen Männer als des staatserhaltenden und staatenbildenden Teiles der
Menschheit ist praktisch in den vergangenen Jahrhunderten und Jahrtausenden vielleicht der
wichtigste Teil der Rechtsbildung gewesen; ihm nachgehen heißt dazu beitragen, das innere
Leben, die Wesensart und die Entwicklung der Völker zu erschließen 1.
II., Wesen und Zweck des Militärstrafrechts.
Das Militärstrafrecht ist ein Sonderrecht, ein Standesstrafrecht.
Besondere Strafrechtsnormen für das Heer aufzustellen, ist, wie auch die Geschichte lehrt,
eine staatliche Notwendigkeit. Die bewaffnete Macht soll den Staat schützen; sie ist das Werk-
zeug seiner Macht. Aus dieser Aufgabe ergeben sich die besonderen Pflichten des Soldaten-
standes, die militärischen Berufs-- und Standespflichten; ihrer Verletzung muß, wenn nicht
disziplinäre Beurteilung ausreicht, durch die staatliche Strafe begegnet werden (militärische
Verbrechen und Vergehen). Soweit freilich der Soldat nur Kulturnormen verletzt, die der
Staat ganz allgemein schützt, besteht kein Grund, ihn dem allgemeinen staatlichen Strafrecht
zu entziehen (siehe unter V, 4). Die bewaffnete Macht ist eine Zusammenfassung vieler Kräfte
zu einer einzigen; die Zusammenfassung ist nur möglich durch eiserne Disziplin. Was diese
bedeutet, hat uns kurz und bündig kein Geringerer als Generalfeldmarschall Graf v. Moltke
gesagt: „Autorität von oben und Gehorsam von unten; mit einem Worte, Disziplin ist die Seele
der Armee.“ So ergibt sich auch mühelos der eigentliche Zweck des Militärstrafrechts: die Rechts-
ordnung des Heeres (der Marine), d. i. vor allem die Disziplin zu schützen, die ein Rechtsgut
der Nation ist, nicht des Heeres (M. E. Mayer).
III. Einteilung des Militärstrafgesetzbuchs für das Deutsche Reich.
Das MStG#B. besteht aus 166 Paragraphen, von denen 1—13 einleitende Bestimmungen,
14—55 den I. Teil „Von der Bestrafung im allgemeinen“ enthalten; der II. Teil handelt von
den einzelnen Verbrechen und Vergehen und deren Bestrafung: Titel I I# 56—152 11 Ab-
schnitte: militärische Verbrechen und Vergehen der Personen des Soldatenstandes; Titel II
§& 153, 154: militärische Verbrechen und Vergehen der Militärbeamten; Titel III ös 155—161:
Strafbestimmungen für Personen, welche den Militärgesetzen nur in Kriegszeiten unterworfen
sind; Titel IV KH 162—166: Zusatzbestimmungen für die Marine. — Dazu das Einführungs-
gesetz (3 Paragraphen).
IV. JZJusammenhang des MStGB. mit anderen Gesetzen, besonders Straf-
bestimmungen.
Für die militärische Strafrechtspflege sind bedeutsam:
1. das Strafgesetztouch vom 15. Juni 1871, alle übrigen Strafgesetze des Reichs, daneben
das Landesstrafrecht 2. Das gemeine Strafrecht ist grumdsätzlich auf den Soldaten anwendbar;
1 Bgl. Dangelmaier, Geschichte des Militärstrafrechts; Bartolomäus, „NMilitär-
strafrecht Geschichte des —“ im Handw. Milf.
ü#ber die eigentümliche Stellung der Militärgerichte bei Anwendung des Landesstrafrechts
. Arch MilR. 3, 136, 188, 321.