218 Heinrich Dietz.
sie bejaht, so gilt die strafbare Handlung als militärisches (z. B. § 143), andernfalls (z. B. 8 66)
als gemeines Verbrechen. Nach einer neueren von Ph. O. Mayerr vertretenen und höchst
beachtenswerten Lehre ist aber nach § 1 MStG. allein maßgebend, ob die „Handlung“
— das ist nach ihm der gesamte objektive und subjektive Tatbestand jeder besonderen strafrecht-
lichen Vorschrift, unabhängig von der Strafdrohung — in „dieses“ Gesetz, d. i. das MSt#GB.,
aufgenommen ist, nicht aber, ob die Strafandrohung sich darin befindet. Begünstigung, Hehlerei,
die der Soldat bei militärischen Straftaten verübt, ist gemeinstrafrechtliche Handlung, Versuch
oder Teilnahme aber nicht. In den Fällen, in denen im Anschluß an die Bestrafung wegen
gemeinrechtlicher strafbarer Handlungen militärische Ehrenstrafen (aus Rücksicht auf die mili-
tärischen Anforderungen) verhängt werden, wird die Natur dieser Handlungen selbstverständlich
nicht geändert. Wichtig ist die Frage, ob die allgemeinen Strafschärfungs-
gründe des § 55 M., die gemeinrechtliche Straftat zur militärischen machen. Die herr-
schende Lehre verneint es; dagegen M. E. Mayer a. a. O. 1 S. 154; Romen u. Rissom
S. 189; neuerdings? wird aber die Anwendbarkeit des § 55 auf gemeinstrafrechtliche Hand-
lungen überhaupt bestritten. Näh. s. B III 3.
Darüber, ob auch der im besonderen Teil stehende § 115 M. nur einen allgemeinen
Strafschärfungsgrund abgibt oder selbständiges militärisches Verbrechen ist, s. nachf. 3c e.
2. Aus der Lehre vom VBerbrechen als schuldhafter Handlung sind hervorzuheben:
a) Der Satz „Keine Strafe ohne Schuld“ gilt auch im Militärstrafrecht; vgl. aber die
Ausnahme unter c; femner gibt es, wie im St GB., auch im M. Fälle der Haftung für den
schwereren Erfolg, obgleich nur der der Straftat eigentümliche (leichtere) Erfolg schuldhaft
herbeigeführt zu sein braucht (Beisp.: §5 81,2, 86, 93, 97,2).
b) Schuldarten. Auch das M. kennt nur vorsätzliche und fahrlässige
schuldhafte Handlungen. Bei nicht wenigen seiner Strafgesetze herrschen Zweifel, ob Fahr-
lässigkeit genügt. Zur Ubernahme des Satzes aus dem gemeinen Strafrecht, daß die fahrlässige
Begehung nur strafbar ist, wenn das Gesetz dies klar zu erkennen gibt, ist Rechtsprechung und
Literatur bisher nicht geneigt. Die militärisch wichtigste Frage, ob der Unn gehorsam gegen
einen Befehl in Dienstsachen durch Nichtbefolgung oder durch eigenmächtige Abänderung oder
UÜberschreitung" (vgl. unter C 14) auch fahrlässig begangen werden kann, ist entgegen der älteren
Auffassung und RM. 2 201, 5 5 usw. zu verneinen. Von begründeten rechtlichen Bedenken
ganz abgesehen (vgl. auch § 93 = fahrlässiges Verbrechen), ist die der täglichen militärischen
Praxis ganz zuwiderlaufende Lehre vom fahrlässigen Ungehorsam eben undurchführbar 2.
T) Die Vorsatzlehre wird durch § 49, Abs. 1 M. ergänzt, wonach die Verletzung einer Dienst-
pflicht aus Furcht vor persönlicher Gefahr wie die vorsätzliche Verletzung geahndet wird (Nicht-
achtung persönlicher Gefahr ist Berufspflicht des Soldaten). Man wird daraus schließen
müssen, daß selbst eine zur Bewußtlosigkeit sich steigernde Furcht nicht entschuldigt; vgl. & 87.
d) § 48; er betont den wissenschaftlich unbestrittenen Satz, daß eine aus Gewissens- oder
Religionsbedenken begangene strafbare Handlung — pflichtwidrig vom Standpunkt unserer
Kultur — nicht entschuldige (häufiger Fall: Verweigerung des Dienstes durch Adventisten am
Samstag).
e) § 51 St G. gilt auch im Militärstrafrecht (vgl. unter c); auch hochgradige Trunken-
heit kann daher den Soldaten schuldunfähig machen. § 49 Abs. 2 M., wonach selbstverschuldete
Trunkenheit keinen Strafmilderungsgrund bei strafbaren Handlungen gegen die Pflicht der
S. 413; RKomen u. Rissom S. 602; auch Ph. O. Mayer (s. Note 2) muß von seinem Stand-
punkt es bejahen; M. E. May er, a. a. O. 1 S. 62/63. — Vgl. RM. 13, 21.
Ph. O. Mayer, Erörterungen aus dem allgemeinen und dem Militärstrafrecht, b) Die
Anwendbarkeit des § 53 MStGB. auf das allgemeine Strafgesetz, Würzb., Doktorarbeit, Stutt-
gart 1912 (Union); dazu Besprech. Arch Mil R. Bd. 3 S. 456—459; Ph. O. Mayer, Die Einheit
und Mehrheit des Verbrechens, Arch Mil R. 2, 432—441, 3, 3—17; vgl. ebd. 4 226 u. Verhandl.
des I. Deutsch. Mil Jur Tags (hsg. v. Dietz), Rastatt 1913, S. 53—62 (Mewes).
2 Bei strenger Durchführung „dürften die Arrestlokale nur wenig kleiner sein als die Kasernen“
(M. E. Mayer); denn jede fahrlässige Nichtbeachtung von Befehlen (was dazu gehört s. C. 1 4)
müßte, auch im Disziplinarwege nach § 3 EG. MSt G., Arrest nach sich ziehen. Erört.
u. Lit. im Arch Mil RK. 1, 102, 191; 2, 7 u. 97 (Rotermund, Dietz, Rissom); Handw Mil . unter
Ungehorsam (Rissom).