Strafrecht. 21
notwendig oder als möglich gedacht sein. Wer ihn sich als gewiß oder notwendig denkt und in
dieser Vorstellung handelt, der hat den Eintritt des Erfolgs gutgeheißen. Nicht immer gilt dies
für denjenigen, der nur mit der Möglichkeit des Erfolgs rechnet. Eine solche Vorstellung allein
kann weder Vorsatz noch überhaupt Schuld begründen. Sonst würde z. B. der gutgläubige
Besitzer einer fremden Sache eine Unterschlagung begehen, wenn ihm einmal der Gedanke durch
den Kopf geht, daß er am Ende doch kein Recht an der Sache habe. Stellt sich der Handelnde
den Erfolg als möglich vor, so muß man analysieren und fragen, ob er auch dann so gehandelt
haben würde, wenn er sich des gewissen oder notwendigen Eintritts des Erfolgs bewußt ge-
wesen wäre. Nur bei dieser Feststellung ist Vorsatz anzunehmen. Insofern also wird das Gebiet
des Vorsatzes wieder eingeschränkt. Aber besser bei der Hauptschuldform verengern, als den
Begriff von Haus aus zu eng fassen und dann künstlich erweitern.
Vorstellungs= und Willenstheorie. Eine künstliche Erweiterung ist aber
nötig, wenn man der früher allgemein herrschenden Willenstheorie folgt und den Vorsatz (dolus)
als ein Wollen des Erfolgs auffaßt. Alsdann gelangt man zu einer Beschränkung auf die Fälle,
in denen der Erfolg Zweck und Ziel der Handlung ist. Da dies nicht angeht, erweiterte man das
Gebiet des Vorsatzes, zunächst durch die Konstruktion des auf scholastische Lehren gestützten
dolus indirectus, den man vornehmlich annahm, wenn aus einem gewollten Erfolg eine weitere
vermeidbare Verletzung hervorging. Der dolus indirectus war lange Gegenstand lebhaften
Streites und wurde schließlich als unhaltbar aufgegeben. An seine Stelle setzte man andere
Supplemente des direkten Vorsatzes, z. B. culpa dolo determinata (Feuerbach,), dolus
generalis, dolus indeterminatus, dolus eventualis u. a. m. Der dolus eventualis ist derjenige
Rest jener künstlichen Erweiterungsversuche, der noch gegenwärtig eine nicht unerhebliche Rolle
spielt. Man nimmt ihn an, wenn außer dem beabsichtigten Erfolg noch ein weiterer, wenigstens
secundo loco, gutgeheißen wurde. Es liegt daher eventueller Tötungsvorsatz vor, wenn jemand
ein Haus, um die Versicherungssumme zu gewinnen, ansteckt und sich für den Fall, daß dabei
ein lahmer Insasse ums Leben kommt, auch hiermit abfindet.
Obwohl der dolus eventualis ein Erzeugnis der Willenstheorie ist, haben ihn auch ein-
zelne Anhänger der Vorstellungstheorie (z. B. v. Lis zt) in ihr System ausgenommen. Sie
gebrauchen ihn zur Bezeichnung desjenigen Vorsatzes, bei dem der Erfolg nur als möglich vor-
gestellt wurde.
Ob man den Vorsatz als ein Wollen des Erfolgs oder ein Wissen vom Erfolg definiert,
macht im Grund nicht den Unterschied, den man bisweilen zu behaupten geneigt ist. Denn
der Vorsatz ist das Produkt eines seelischen Vorgangs, bei dem die beiden Grundkräfte der
Seele, Denken und Wollen, zusammen wirken müssen. Es läßt sich demnach die Be-
stimmung nach jeder Grundkraft der Seele rechtfertigen, wenn vielleicht auch aus praktischen
Rücksichten die Bestimmung nach der einen den Vorzug vor der Bestimmung nach der
anderen verdient.
Daß man mit der Vorstellungstheorie für das positive Recht nicht fehlgeht, beweist der
Ausdruck „Vorsatz“ selbst sowie die ganze Sprachweise des Strafgesetzbuchs, das oft „wissent-
lich“ als gleichbedeutend mit „Vorsatz“ gebraucht (vgl. z. B. s 49, 153, 257 StGB.).
Absicht und Überlegung. An manchen Stellen spricht das Strafgesetzbuch
von Absicht und bezeichnet damit grundsätzlich etwas anderes als mit Vorsatz. Absicht ist ihm
eine Spezies des Vorsatzes und setzt außer der Vorstellung vom Erfolg voraus, daß diese Vor-
stellung treibendes Motiv zum Handeln war. Dagegen erscheint die zur Kennzeichnung des
Mordes verwendete Uberlegung nicht als Spezies des Vorsatzes, sondern des Entschlusses. Man
handelt dann überlegt, wenn man den Gedanken zur Tat mit den abmahnenden Vorstellungen
abgewogen und doch über sie hat siegen lassen.
Bewußtsein der Rechtswidrigkeit und Rechtsirrtum. Nach dem
Angeführten gehört das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit nicht zum Vorsatz. Würde man es
für ihn erfordern, so könnte der Täter sich durch die Berufung auf die Unkenntnis des Verbots
seiner Handlung leicht exkulpieren. Um diese unliebsame Konsequenz zu vermeiden und es
zugleich als Bestandteil des Vorsatzes zu retten, hat man wohl behauptet, jeder Schuldfähige
besitze es ohne weiteres. Wäre dies richtig, so würde man dahin gelangen, einen integrierenden
Bestandteil des Vorsatzes zu präsumieren. Das geht aber nicht an.