22 F. Wachenfeld.
Das Bewußtsein der Rechtswidrigkeit ist nicht nur kein Bestandteil des Vorsatzes, sondern
im allgemeinen überhaupt kein Umstand, dem eine strafrechtliche Bedeutung zukommt. Es
ist unerheblich, ob der Täter eine erlaubte Handlung zu begehen glaubt, während sie ver-
boten ist, und ebenso, ob er eine verbotene Handlung zu begehen wähnt, die tatsächlich
erlaubt ist sog. Wahnverbrechen).
Nur in denjenigen Fällen, in denen die Rechtswidrigkeit in den Tatbestand eines Delikts
ausdrücklich aufgenommen ist, muß der Täter das Unerlaubte seiner Handlung gekannt haben.
Diese Kenntnis wird bei einigen Delikten deshalb gefordert, um die Zahl der sonst strafbaren
Fälle zu reduzieren (z. B. #§ 123, 240, 303 St G.).
Tatirrtum. Anders als mit dem Rechtsirrtum verhält es sich mit dem Tatirrtum.
Er schließt, sofern er wesentlich ist, den Vorsatz aus. Wesentlich aber ist der Irrtum über den
Erfolg. Der Erfolg ist nun nicht nur eine natürliche Wirkung, sondern die natürliche Wirkung
in ihrer rechtlichen Bedeutung. Darum erscheint z. B. als Erfolg beim Inzest nicht die bloße
geschlechtliche Vereinigung mit einer bestimmten Person, sondern solche Vereinigung mit ihr
als einer verwandten Person. Wer über die Tatsache der Verwandtschaft irrt, der irrt über
den Erfolg und ist des vorsätzlichen Inzestes freizusprechen.
Worauf der Irrtum über die den Erfolg ausmachenden Tatumstände beruht, ist gleich-
gültig. Es liegt kein Diebstahl vor, wenn man in der fremden Sache die eigene wegzunehmen
glaubt, mag man sie mit der eigenen verwechseln oder als geschenkt ansehen (vgl. J 59 Abs. 1
StGB.).
Eine besondere Beachtung beanspruchen die Fälle, bei denen der Täter von einem auf
den Erfolg gerichteten Vorsatz geleitet wurde, sich aber in der Wahl des angegriffenen Objekts
irrte und in Verwechslung die Tat an einer anderen Person oder Sache, als er beabsichtigte,
verübte. Da sich bei diesem error in persona bzw. in objecto der Vorsatz immerhin während
der Ausführung auf das angegriffene Objekt bezieht, ist der eingetretene Erfolg zum Vorsatz
zuzurechnen.
Traf dagegen der Täter nicht infolge einer Verwechslung, sondern infolge der Mitwirkung
äußerer Umstände eine andere Person oder ein anderes Objekt, als er treffen wollte (z. B. X.
schießt auf B., A. bückt sich, und B. wird getötet, sog. aberratio ictus), dann richtete sich der Versuch
lediglich auf die nicht getroffene Person bzw. das nicht getroffene Objekt. Es liegt daher in dem
angeführten Beispiel eine versuchte vorsätzliche Tötung des A. vor. Ob damit eine fahrlässige
Tötung des K. ideell konkurriert, hängt davon ab, ob nach dieser Richtung hin die nötige Vorsicht
von X außer acht gelassen wurde.
8 11. Fahrlässigkeit.
Wie der Vorsatz der positiven Handlung, so entspricht die zweite Schuldform, die Fahr-
lässigkeit, der Unterlassung. Die Unterlassung setzt die Möglichkeit und die Pflicht zum Handeln
voraus. Ebenso erfordert auch die Fahrlässigkeit, daß der Täter die Vorstellung vom Erfolg
haben konnte und sollte. Wer die giftige Wirkung von Pilzen gar nicht kennt, macht sich
keiner fahrlässigen Vergiftung schuldig, wenn er sie anderen als Speise vorsetzt. Nur dann,
wenn er die Unkenntnis selbst verschuldet hat, hört er auf, vor Strafe geschützt zu sein (§ 59 Abs. 2
StGB.). Die Pflicht zur Vorstellung des Erfolgs kann natürlich nicht auf eine diese Vorstellung
gebietende Rechtsvorschrift gegründet werden. Die Rechtsordnung stellt nur Normen für das
äußere Verhalten auf. Hierbei nimmt sie einen Durchschnittsmenschen zum Maßstab und
verlangt daher nicht, daß man stets die Folgen seines Tuns ängstlich zuvor erwägt, gestattet
aber auch nicht, sich leichtsinnig über die Folgen hinwegzusetzen. Wenn sich im konkreten Fall
ein Durchschnittsmensch den Erfolg vorgestellt haben würde, darf man diese Vorstellung von
jedem erwarten.
Die Fahrlässigkeit begreift nun nicht bloß diejenigen Fälle, in welchen jemand die Vor-
stellung vom Erfolg pflichtwidrig unterlassen hat. In gewissem Umfang ist sie mit der Vor-
stellung vom Erfolg vereinbar. War sich der Täter nur des möglichen Eintritts des Er-
folgs bewußt, so liegt, wie wir sahen, nicht immer Vorsatz vor. Es bleibt also dann noch Raum
für die Fahrlässigkeit. Aber diese umfaßt nicht das ganze übrige Gebiet. Trotz des Ge-