Full text: Enzyklopädie der Rechtswissenschaft in systematischer Bearbeitung. Fünfter Band. (5)

256 Heinrich Dietz. 
und Ordnung. Der Gehorsam des Soldaten erschöpft nicht das Wesen der Disziplin; der aus 
freiem sittlichen Wollen, aus dem vollen Verständnis für die Aufgaben der bewaffneten Macht 
herworgegangene Gehorsam sichert sie aber in erster Linie. Die äußerliche militärische Aus- 
bildung muß sich mit erzieherischen Einflüssen, die dem Menschen als solchem gelten, verbinden; 
der Soldat muß es lernen, seine Berufspflichten mit voller Hingabe an die Sache zu erfüllen. 
Gute Beispiele, Belehrung, Aneiferung, Ermahnung, Tadel, Verwarnung dienen zunächst dieser 
Aufgabe; besonders wichtig ist die Belebung des Ehrgefühls. Wenn diese reinen Er- 
ziehungsmittel versagen, müssen Strafen nachhelfen; zunächst die Disziplinar- 
strafe als Verwaltungsstrafe, die dem Disziplinarvorgesetzten in die Hand gegeben ist, in 
ernsteren Fällen die Rechtsstrafe des Staates, deren Herbeiführung der Kommandogewalt 
aus zwingenden Gründen überlassen ist. Militärstrafrecht und Disziplinarstrafrecht sind bei 
aller theoretischen Verschiedenheit wesensverwandt; beide dienen der Disziplin. Man hat mit 
Recht die Disziplinarstrafordnung ein zweites Militärstrafgesetzbuch genannt, das gleichsam 
für leichtere Fälle das eigentliche ergänze (Laband). 
Ziffer 2. Quellen. 
Die Vorschriften über die Handhabung der Disziplin werden vom Kaeiser erlassen, 
§ 8 RMM6G. v. 2. Mai 1874; vgl. Art. 61 u. 63 der RV. Die heute geltende Disziplinarstraf- 
ordnung (DStO.) für das Heer ist am 31. Okt. 1872 vom König von Preußen er- 
lassen; sie ist in Sachsen und Württemberg dem Wortlaut nach, in Bayern (als bayr. Verordn. 
v. 12. Dez. 1872) fast dem Wortlaut nach eingeführt worden Für die Marine ist eine be- 
sondere DSt O. am 1. Nov. 1902 ergangen; in den Grundzügen stimmt sie mit der des Heeres 
überein. Die späteren Ergänzungen oder Abänderungen der Döt. sind nicht zahlreich. 
Ergänzend greifen besonders ein: RBG. v. 31. März 1873 (Neufassung 1907), bayr. 
Beamtes. v. 16. Aug. 1908, RDG. v. 1. Dez. 1898, die StrafvollstrOrdnungen, die Beschwerde- 
ordnungen; bei Offizieren die Ehrengerichtsverordnungen. Die DöSt. sind als Rechtsver- 
ordnungen vom Kriegsminister gegengezeichnet; gesetzlich geregelt sind die für die Personen des 
Beurlaubtenstandes zulässigen DStrafmittel, § 57 NMMilG., Kontr. v. 15. Febr. 1875. 
Ziffer 3. Sachlicher Umfang der Disziplinarstrafgewalt. Abgrenzung vom 
Kriminalstrafrecht. 
Mit der Zugehörigkeit zum Soldatenstande wird der Kreis der Handlungen, die strafbar 
oder strafwürdig sein können, erheblich erweitert. Neben die strafbaren Handlungen des ge- 
meinen Rechts treten die militärischen Verbrechen und Vergehen des Militärstrafgesetzbuchs 
und gleichzeitig kleinere Pflichtverletzungen, sog. DUbertretungen, früher meist reine DVer- 
gehen genannt, d. h. Verstöße gegen die militärische Zucht und Ordnung und gegen die 
Dienstvorschriften, die nicht von den Gesetzen mit Strafe bedroht sind (DSt O. und MarDSt. 
* 1 Ziff. 1). 
I. Der für die Disziplin verantwortliche Befehlshaber, der DVorgesetzte, ahndet: 
a) Diese Disziplinarübertretungen, §1 Z. 1 DStO. und MarnSt., 
also militärische Ubertretungen, für die bestimmte gesetzliche Tatbestände ganz fehlen; ob sie 
vorhanden sind, entscheidet der Disz Vorgesetzte, damit gewissermaßen rechtschöpferische und 
richterliche Tätigkeit gleichzeitig ausübend, nach freiem Ermessen. Ausnahmsweise zeigen die 
sog. Kontrollübertretungen der Personen des Beurlaubtenstandes (§ 28 DSt O., 31 Mar DStO.) 
und die Disz Ubertretungen nach § 202 Abs. 1 (208), 290 Abs. 2 MStGO. (Verweigerung der 
Eidesleistung, Ungebühr vor Gericht) besondere Tatbestände. Strafzwang bei Aus- 
übung der reinen Disziplinarstrafgewalt (anders unter b nachf.) herrscht nicht, ausgenommen 
auch hier die 88 202 Abs. 1 (208), 290 Abs. 2 MStG. 
b) Eine Anzahlmilitärischer Vergehen, die in 933 EG. MSt G., §J18 MSt GO. 
besonders genannt sind. Es gehören hierher die einfache unerlaubte Entfernung, Achtungs- 
verletzung, Belügen des Vorgesetzten, Beleidigung des Vorgesetzten und im Dienstrange Höheren, 
einfacher Ungehorsam, gewisse Fälle des Mißbrauchs der Dienstgewalt, vorschriftswidrige Be-
	        
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