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Entwicklung maßgebenden Franken und bedroht das bischöfliche Regiment schon 650 emstlich.
Die lirchliche Anarchie des ausgehenden 7. und des beginnenden 8. Jahrhunderts (über 80 Jahre
leine Synoden und Erzbischöfe, jahrzehntelang keine oder nur unkirchliche Bischöfel) verhilft
ihm zum Siege und spielt ihm mit den Säkularisationen Karl Martells und Pippins einen
großen Teil der aus römischer Zeit stammenden Kirchen in die Hände. Auf dem Fiskalgut, auf
den Gütern der zu ihren Landkirchen lediglich in Eigentumsbeziehungen stehenden Klöster und
auf den Besitzungen der weltlichen Großen, überall erheben sich oder entstehen Eigenkirchen
(im Bistum Chur über 200 gegen 31 bischöfliche). Das bischöfliche Regiment wird fast ganz.
auf die Stadt zurückgedrängt.
Stutz, Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens 1 1, 1895, Eigenkirche (# 7), Gött. Gel. Anz.
1904 Nr. 1, Karls des Großen divisio von Bistum und Grafschaft Chur, Hist. Aufs. f. Zeumer, 1910
(auch sep.), Art. Eigenkirche, Eigenkloster, Hauck-Herzogs Realencyll." XXIII 1913 (wo ausführliche
Literaturangaben), auch Art. Patronat, ebenda XV, 1904; Riedner, Hist.-pol. Bl. CXXVIII,
1911; Pollock and Maitland, The history of English law? 1898, I p. 497; Stengel,
Art. Eigenkirche in Rel. in Gesch. u. Gegenwart II, 1910; v. Schwerin, Art. Eigenkirche in
Hoops, Reallexikon I, 1912; Werminghoff, VBG. 514; Hatschek, Englische Verfassungs-
geschichte, 1913 S. 147 ff.; Hinschius, Kr. II § 128; Bondroit, De capacitate possidendi
ecclesiae necnon de regio proprietatis vel dispositionis dominio (481—751) I, Löwener theol.
Diss., 1900; GCalante, La condizione giuridica delle cose sacre, I, 1903, 11 diritto di patro-
nato ed i documenti longobardi, Studi in onore di... Scialoja I, 1905, Elementi di diritto
ecclesiastico (auch in Encicl. giur. ital.) 1909, Per la storia giuridica della Basilica di S. Marco,
3 „ f. RE. II, 1912, Giuspatronato (auch in der Encicl. giur. ital.), 1913; Thomas, Le droit
e propriété des laiques sur les Öglises et le patronage laique au mouen Ere, B. 6. h. 6ö. XIX,
1906; Addy, Church and Manor, 1913: Gutmann, Die soziale Gliederung der Bayern,
Abhdl. aus dem Straßburger staatswiss. Seminar, H. 20, 1906; Roth, Die Sakularisation des
Kirchenguts unter den Karolingern, Münchner H. Ib., 1865; Dümmler, Über den Dialog
de statu sanctae ecclesiae, Berliner Ak. S. B., 1901; Longnon, Le polyptyque de l’abbapye
de Saint-Germain-des-Prés (verbesserte Neuauflage der Ausgabe und Einleitung von Guêrarc)),
2 Bde., 1886—95.
Die karolingische Kirchenresorm erstrebt nicht die Beseitigung, sonderm die Einfügung
des Eigenlirchenwesens in die, so gut es geht, wiederherzustellende kirchliche Ordnung. Eine
reiche Eigenkirchengesetzgebung erkennt das Eigenlkirchenrecht grundsätzlich und in seinen prak-
tischen Folgen an (Ubertragbarkeit von Kirche und Kirchengut als Ganzes durch Verkauf, Tausch,
Schenkung; freie Vererblichkeit ohne Sachteilung; Genuß der Betriebsüberschüsse; Emennung
des Geistlichen) und sucht bloß die schlimmsten Auswüchse (Zerstückelung des Kirchenguts; über-
mäßige Ausbeutung; Anstellung Unfreier als Geistliche und willkürliche Absetzung der letzteren)
abzustellen sowie eine gewisse Oberhoheit des Bischofs (Zustimmung zur Besetzung; Visitations-
recht; Synodalbesuch und Abgabenpflicht des Eigenkirchenpriesters) zu erwirken. So wird das
Eigenlirchenrecht dem fränkischen und durch eine römische Synode Eugens II. von 826 dem
italienischen Kirchenrecht einverleibt und behauptet sich trotz der wiederholten Angrifse der radikal-
lirchlichen (pseudoisidorischen) Kreise (Synode von Valence 855) dank der Verteidigung durch
Erzbischof Hinkmar von Reims (Gutachten de ecelesüs et capellis um 860 für Karl den Kahlen)
und wegen der Übermacht der damit verknüpften materiellen Interessen. Für diese gewinnt
jetzt auch der Episkopat Verständnis und behandelt die ihm gebliebenen Gotteshäuser vom
9. Jahrhundert an als bischöfliche Eigenkirchen. Selbst in die römisch gebliebenen Teile Italiens
1 Für dessen Kirchen sollten nach dem capitulare de villis, das nach Dopsch (5 18, 3d) im
Jahre 794 von Ludwig dem Frommen für die ihm als Unterkönig von Aquitanien zurückgegebenen
Krongüter erlassen wurde, aber in der Hauptsache wohl nur vorschrieb, was überhaupt für die karo-
lingische Domänenverwaltung galt, die Geistlichen ausschließlich aus dem fiskalischen Gutspersonal
oder aus der Hofkapelle genommen werden. Unter letzterer verstand man zunächst die Hofgeist-
lichkeit mit dem Hofbischof oder Erzkaplan an der Spitze, aber bald auch den Klerus der könig-
lichen Pfalzen, insbesondere denjenigen der Marienkirche in Aachen. Dieser Hof= und Pfalzklerus
war ähnlich wie die Militärgeistlichkeit von heute (§ 81, 112) exemt. Aus ihm nahmen die Könige
nicht selten die Bischöfe. Doch ging diese Organisation, die dem Episkopate Ludwigs des Frommen
ein Dorn im Auge war, in den karolingischen Teilreichen im Laufe des 9. Jahrhunderts in eine
Reihe von königlichen Stiftsgeistlichkeiten auseinander, welche um die zu königlichen Stiftern werden-
den Pfalzkapellen sich gruppierten; Lüders, Capella, Die Hofkapelle der Karolinger, Arch. f.
Urkundenforsch. II, 1908.