Strafrecht. 31
Dritter Abschnitt. Die Strafe.
8 19. Begriff der Strafe.
Die Untersuchung über das Wesen der Strafe muß, wenn man von der positiven Grund-
lage absieht und die Strafe, wie sie sein soll, im Auge hat, zu verschiedenen Ergebnissen führen, je
nach der Strafrechtstheorie, von der man dabei ausgeht. Anders dagegen, wenn man — worauf
es bei unserer Darstellung ankommt — untersucht, was als Strafe nach positivem Recht erscheint.
Hierfür lassen sich jedenfalls zwei Merkmale aufstellen. Die Strafe ist 1. die Folge eines
Verbrechens und 2. eine Rechtsgüterverletzung.
Diese beiden positiv-rechtlichen Kriterien verdienen Billigung. Denn die Strafe ist ihrer
imnersten Natur nach weder ein Heil- noch ein Zuchtmittel, sondern eine einfache Reaktion gegen
Unrecht, selbst dann, wenn ihre Verhängung mit der Verfolgung besonderer Zwecke verbunden
ist. Als Derivat des individuellen Racherechtes besteht sie in einer Vergeltung, die um des-
willen Rechtsgütewerletzung ist, weil auch durch das Verbrechen Rechtsgüter verletzt werden.
Selbstverständlich kann dabei nicht an eine Talion gedacht werden. Denn mit der gesteigerten
Kulturentwicklung überwiegen die unpersönlichen Rechtsgüter, so daß der Verbrecher nicht immer
solche Rechtsgüter besitzt, wie er sie verletzt.
Erscheint nach dem ersten der beiden Hauptmerkmale die Strafe als Folge eines Ver-
brechens, so kann sie kein Nachteil sein, welcher an ein bloß regelwidriges Verhalten geknüpft
ist, wie z. B. eine Ehescheidungsstrafe, desgleichen keine Folge der Strafe, wie z. B. die von
der Verurteilung zur Zuchthausstrafe abhängige Unfähigkeit zum Heerdienst (§ 31 StGB.).
Die Strafe setzt voraus, daß ein Verbrechen bereits begangen ist. Deshalb sind keine
Strafen: die Kaution, die als Garantie für künftiges Verhalten geleistet wird, und der Er-
füllungszwang, der ein Mittel ist, um eine Verpflichtung, wie z. B. zur Ablegung eines Zeugnisses,
Erstattung eines Gutachtens, zu erzwingen.
Mit dem Merkmal der Rechtsgütewerletzung tritt die Strafe in einen Gegensatz zum
Schadensersatz und speziell zur Buße. Schadensersatz und Buße bezwecken den Ausgleich eines
Schadens, die Strafe aber die Herbeiführung einer neuen Verletzung. Als Rechtsgütewerletzung
teilt die Strafe bis zu einem gewissen Grade den Charakter des Verbrechens. Eine Rechtsgüter-
verletzung ist an sich nicht erlaubt. Deshalb ist die Strafe in ihrem Vollzuge eine Handlung,
die ebenso wie das Verbrechen verboten ist. Das Verbrechen der Tötung und die Todesstrafe,
das Verbrechen der Einsperrung und die Freiheitsstrafe sind ihrem Inhalte nach ganz gleich.
In beiden Fällen sind es Handlungen, durch welche fremde Rechtsgüter vernichtet oder ge-
schmälert werden.
Eine Rechtsgütewerletzung ist einer Person gegenüber nur insoweit möglich, als diese
Rechtsgüter besitzt. Recht= und Ehrlose gibt es heute nicht mehr. Insofern ist jener Satz un-
praktisch. Praktisch aber wird er bei Vermögenslosen. Da solche nicht am Vermögen gestraft
werden können, bleibt nichts anderes übrig, als sie an einem anderen Rechtsgut, z. B. der Frei-
heit, zu bestrafen.
Soll die grundsäglich verbotene Rechtsgüterverletzung ausnahmsweise erlaubt sein, so“
muß sich die Erlaubnis auf ein Gesetz stützen. Die Strafe muß daher im Gesetz an gedroht
sein. Der Satz „nulla poena sine lege“ verbietet es auch, die im Gesetz angedrohte Strafe durch
eine andere zu ersetzen, wenn der Verbrecher sie nicht als Übel empfindet, wie etwa der Reiche
die Geldstrafe.
Außer den angeführten charakteristischen Merkmalen gehören zum Begriff der Strafe
ein Subjekt, das die Strafe androht und verhängt, und ein Objiekt, das sie erleidet. Straf-
berechtigt ist grundsätzlich allein der Staat als Träger des allgemeinen Willens. Demgemäß
ist die Strafe ein staatliches Institut, und es scheiden aus ihrem Begriff die uneigentlichen Strafen,
welche Kirche, Schule, Familie verhängen, aus.
Da die Verhängung der Strafe dem Staat als dem Inhaber der öffentlichen Zwangs-
gewalt zusteht, ist die Disziplinarstrafe, selbst, wenn sie vom Staat verhängt wird, keine eigent-
liche Strafe. Sie ist alsdann ein Ubel, das der Staat lediglich als Dienstherr über seine Staats-
diener ausspricht.